Spieler über 40: Legenden des Eishockeys

von Gerulf Ketz

Ein Spieler stand mit über 50 Jahren auf dem Eis der NHL. Ein erlesener Klub von weiteren 80 Spielern schaffte es, als 40-Jährige den gleichen Traum mit bis zu 20 Jahren jüngeren Gegnern und Mitspielern zu leben. Den Traum des Stanley Cups und einen Eintrag ins Geschichtsbuch der größten Eishockeyspieler dieser Welt.

Gordie Howe ist besser bekannt als „Mr. Hockey“. Nur er spielte bis in ein für NHL-Profis biblisches Eishockeyalter von über 50 Jahren. In der Spielzeit 1968-69 erzielte der 1928 geborene Stürmer 44 Toren und 59 Vorlagen für seine Karrierebestmarke von 103 Punkten. Ein seither gültiger Rekord unter Spielern älter als 40 Jahre. Howe beendete seine Laufbahn nach der Saison 1970-71 und wurde 1972 umgehend als viermaliger Stanley-Cup-Sieger und einer der erfolgreichsten NHL-Spieler in die „Hockey Hall of Fame“ aufgenommen. Im unvorstellbaren Alter von 52 Jahren kehrte er 1979-80 für eine letzte Spielzeit zurück auf das Eis der National Hockey League. Er verpasste keinen Einsatz, erzielte 15 Tore und spielte sogar mit seinen beiden Söhnen in einer Sturmreihe.

Ab 30 Jahren gilt man in der Leistungsspitze, egal in welcher Sportart, als erfahren. Mit 35 Jahren gehört man schon zum alten Eisen. Spätestens mit Ende 30 nagt der Zahn der Zeit so stark an Körper und Geist, dass jedes weitere Jahr schmerzhaft ist. Im Vergleich der Altersrekorde in den höchsten Ligen der körperlichen Sportarten, sind die 52 Jahre von Gordie Howe sehr beachtlich: Im Rugby, Basketball oder American Football endeten die Spielerkarrieren weit vor dem 50. Lebensjahr. Wie ist es möglich im sehr hohen Sportleralter gegen viel jüngere und körperlich unverbrauchte Konkurrenten und Gegner zu bestehen?

Ein Team aus erfahrenen Spielern mit einem der größten Trainer aller Zeiten belegte, dass Alter und Erfolg zusammenpassen können: Die Detroit Red Wings von 2001-02. Die Heimat von Gordie Howe für 25 Spielzeiten vereinigte in dieser Saison gleich sechs Spieler, die erst mit 40 Jahren oder später die Schlittschuhe an den Nagel hängen sollten. Zwei von ihnen, Igor Larionov und Chris Chelios, waren bereits damals über 40 Jahre alt. Verteidiger Chelios räumte in diesem Jahr den Titel für die beste Plus-Minus-Statistik ab. Stürmer Larionov erwies sich als noch entscheidender: Im dritten Spiel um den Stanley Cup traf der zu diesem Zeitpunkt 41-Jährige Russe als ältester Spieler in einem Finalspiel; sein zweites Tor an diesem Abend beendete nach einer fast einstündigen Verlängerung eines der längsten Spiele in der Finalgeschichte des Stanley Cups. Detroit gewann in diesem Jahr den Titel und bewies, wie es Brett Hull ausdrückte, dass es besser sei „alt und schlau, als jung und dumm“ zu sein. Hull spielte, wie es sein Vater tat, bis über den 40. Geburtstag hinaus. Igor Larionov agierte in der NHL bis er als achtältester Feldspieler mit über 43 Jahren aufhörte. Chris Chelios machte sogar bis 48 weiter und ist nach Howe der zweiälteste NHL-Spieler aller Zeiten.

Die Spielzeit 2001-02 verlief auch für einen anderen Spieler erfolgreich. Jaromir Jagr, damals 29, erzielte in dieser Saison die zweitmeisten Punkte der Liga. Diesen 2. Platz hätte Jagr ebenso für die Liste der Karrierepunkte schaffen können: Mit 42 Jahren ist er dem Spiel treu geblieben und schoss sich auf Platz fünf der NHL-Bestenliste. Ohne seine Zeit in Russland wäre Jagr heute der produktivste NHL-Spieler, hinter „The Great One“, dem unerreichten Wayne Gretzky.

Noch länger als Jagr, zumindest wenn dieser kein weiteres Jahr dran hängt, spielte ein anderer Europäer: Teemu Selanne. Der Finne begann die Karriere mit einem NHL-Rekord. Seine 76 Tore und 132 Punkte sind bis heute unübertroffen für einen NHL-Spieler im ersten Jahr. Doch er selbst hätte nicht geglaubt, dass Zuschauer seines Teams noch zwei Jahrzehnte später Schilder mit der Bitte um „Noch ein Jahr“ hochhielten. Selanne selbst wollte zum ersten Mal im Jahr 2003 mit dem Profi-Eishockey aufhören, um es dann auf 21 NHL-Spielzeiten und sechs Olympiateilnahmen zu bringen.

Bei den Torhütern fing alles mit dem berühmten Lester Patrick und Hughie Lehman an, die erst 1928 dem natürlichen Verfall im Alter von 44 respektive 42 Jahren nachgaben. Danach folgten einige Schlussmänner, wie die Hockey-Hall-of-Famer Dominik Hasek oder Patrick Roy, die Langlebigkeit mit Leistungspotenzial in den entscheidenden Spielen verknüpften; Erfolg drückt sich nicht nur in Statistiken aus, sondern gerade in Titelgewinnen.

Den richtigen Zeitpunkt für das Karriereende verpassten hingegen einige große Torhüter. George Hainsworth, der dreimalige Vezina-Gewinner, der als einer der besten Torhüter in der Ligageschichte gilt, spielte alle 48 Spiele seines Teams im Alter von 40 Jahren und erzielte einen guten Schnitt von 2,12 Gegentore pro Spiel. Im nächsten Jahr verschlechterten sich diese Zahlen und er wurde von Toronto entlassen, um kurz danach seine Karriere zu beenden. Diese Erfahrung teilten Johnny Bower und Gump Worsley, die beide bis in ihre 40er spielten, nur um einen rasanten Leistungsabfall zu erleben. Der noch aktive Martin Brodeur baut mit über 42 Jahren seine NHL-Rekorde weiter aus, u.a. als Torhüter mit den meisten Spielen und Siegen. Wie lange Brodeur gegen den Trend der vergangenen Größen ankämpfen kann, bleibt abzuwarten.

Die Leistungsfähigkeit eines NHL-Spielers prägt sich fast vollständig bis Mitte 20 aus, danach erhöht sich diese weiter bis er 30 Jahre alt ist. Das trifft zumindest auf zählbare Werte, wie Tore und Vorlagen für Stürmer und Verteidiger, sowie der Anteil gehaltener Schüsse für Torhüter zu. Es stimmt nicht für Ausnahmeathleten: Der 40-Jährige Howe und sein 36-Jähriger Sturmpartner Alex Delvecchio erzielten späte Bestmarken, Tim Horton legte mit 38 genau wie Niklas Lidstrom mit 35 Jahren noch einen drauf; Johnny Bucyks erzielte gar stets unter einem Punkt pro Spiel, bevor er ab 35 Jahren für fünf aus sechs Spielzeiten mehr als einen Punkt beitrug.

Alle diese Namen sind Ausnahmen. Es gibt sie immer wieder: Ray Whitney hörte mit über 40 Jahren auf, ebenso wie vor kurzem der große Daniel Alfredsson; Jaromir Jagr und Martin Brodeur sind die einzigen noch aktiven NHL-Spieler auf der etwa 20 Namen langen Liste der über 42-Jährigen; Sergei Gonchar hat es über die 40 Jahre geschafft, Martin St. Louis wird nach der aktuellen Spielzeit den letzten runden Geburtstag als NHL-Profi feiern.

Es sind Sportler, die auf der nach Alter absteigend sortierten Spielerliste ganz oben stehen. Es sind langsamer werdende Spieler, die sich nicht vom schnellsten Spiel der Welt, das sie so sehr lieben, verabschieden wollen – noch nicht. Es sind Menschen, die ihre Teams mit nicht käuflichen Werten verbessern, fern von Toren und Punkten. Es sind die vom Herz getriebenen Charaktere, die mit Kopf und Verstand, aber auch mit Ellenbogen ihren Platz auf dem Eis verteidigen. Es sind die Legenden des Eishockeys.

Dieser Artikel erscheint auch auf NHL.com/de

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