Tor oder nicht?

Die vergangenen olympischen Spiele in London haben wieder einmal vor Augen geführt, dass im modernen professionellen Sport technische Hilfsmittel mittlerweile Gang und Gäbe sind. Auch wenn die Technik manchmal versagen kann, wie beim Hammerwurf der Frauen, als beim Versuch der Deutschen Betty Heidler mit dem traditionellen Maßband nachgemessen wurde, zeigten Videobeweise im Hockey, Tennis oder Taekwondo, wie nützlich Technik sein kann, um Fehler in der Wahrnehmung des menschlichen Auges auszuschließen. Etwas unrühmlich war im Gegenteil die Vorgehensweise beim Fechten, wo der ständig hinzugezogene Videobeweis jeglichen Fluss des Wettkampfes für den Zuschauer nahezu nervtötend störte.

Im Fußball werden nach langen Diskussionen ab der Saison 2013/14 Torentscheidungen im Profifußball technisch überwacht. Der Schiedsrichter soll auf seiner Uhr in Sekundenschnelle angezeigt bekommen, ob Tor oder nicht. Möglich machen sollen das bereits im Tennis eingesetzte Hawkeye-System oder die GoalRefTechnik.

Blicken wir auf die NHL, wo die Videoentscheidung seit Jahren Bestandteil ist. Die nordamerikanische Eishockeyliga setzt bereits seit dem Jahr 1990 auf mehr Professionalität und hat hierfür extra einen Raum, den „Goal Judge Video Room“ in deren Büro im kanadischen Toronto eingerichtet. Der ca. 50 qm große Raum verfügt über High Tech pur. „Warroom“, also Kriegsraum, wird er von der Presse und seitdem auch von den Fans „liebevoll“ genannt, weil es dort im laufenden Betrieb hoch hergeht. Auf der großen Projektionswand laufen parallel alle Spiele nebeneinander in Großbild und jeder der dortigen Mitarbeiter hat auf seinem Arbeitsplatz zwei bis vier weitere Bildschirme, wo er maximal zwei Partien noch einmal vor sich präsent hat. Bei teilweise bis zu 14 Spielen an einem Wochenendtag arbeiten also dort gleichzeitig acht Personen, inklusive des Supervisors, der letztendlich mit dem Schiedsrichter vor Ort konferiert und die Entscheidung trifft. Zusätzlich befindet sich in jedem Stadion ein Mitarbeiter, der als Kontaktperson fungiert und bei strittigen Szenen sofort eingreifen muss und das Spiel stoppt. Warum ist klar: Toronto bekommt die Bilder aus den anderen Städten über Satellit ca. 10 Sekunden zeitversetzt. Eine Verzögerung, die natürlich problematisch sein könnte, sollte das Spiel schnell fortgesetzt werden, weil Entscheidungen nicht mehr revidiert werden dürfen, ist das Spiel erst einmal wieder fortgesetzt.

1230 Partien der regulären Spielzeit und bis zu 105 Playoffspiele pro Saison werden so überwacht und es gibt in jedem Jahr ca. 800-900 Entscheidungen bzw. Überprüfungen. Dabei haben die Entscheider in Toronto alle möglichen Kamerapositionen aller übertragenden Fernsehstationen zur Verfügung, aber die Übertorkamera kann die meisten Probleme lösen. Überprüft wird in erster Line, ob der Puck die Torlinie überschritten hat oder nicht bzw. wann, falls die Uhr abgelaufen ist oder der Schiedsrichter gepfiffen hat und damit das Spiel unterbrochen wurde. Aber die Bilder dienen auch festzustellen, ob Pucks vom Schlittschuh illegal ins Tor gekickt wurden oder der Stock bei der Torerzielung aus der Luft zu hoch, nämlich über der Querlatte, war. Hingegen wurde das Torraumabseits wieder aus der Liste genommen.

„Es gab zu viele Diskussionen und die Schiedsrichter vor Ort, seitdem sie zu zweit agieren, können das sehr gut selbst entscheiden“,

betont Mike Murphy, einer der Supervisor im „Warroom“. Nur der Schiedsrichter, die Mitarbeiter in Toronto und der Mitarbeiter im Stadion dürfen die Videoentscheidung herbeiführen. Ein Mitspracherecht der Mannschaften wurde schon häufiger diskutiert, aber bislang nicht eingeführt.

Im Falle einer Videoentscheidung setzt der Schiedsrichter ein Headset auf und wird mit dem Supervisor in Toronto verbunden. Nun entsteht ein Dialog über die Situation, wo der Schiedsrichter auch schildern muss, wie er es gesehen hat und was er meint. Die Entscheidung trifft dann aber letztendlich der Supervisor, weil dieser die Bilder aus verschiedenen Positionen sieht. Der Schiedsrichter selbst hat keinen Bildschirm zur Verfügung.

„Die meisten Entscheidungen können wir in unter einer Minute treffen“,

merkt Murphy an und sieht sich darin bestätigt, dass der Spielfluss nicht groß gestört wird und schränkt aber sogleich ein, dass schon einmal länger benötigt wird, wenn Szenen undurchsichtig sind:

„Unsere längste Entscheidung dauerte knapp über acht Minuten.“

Ist eine Entscheidung getroffen, gibt der Schiedsrichter diese im Stadion bekannt. In Toronto herrscht nun rege Arbeit, denn alle übertragenden Fernsehstationen und der Kontrollraum für den Videowürfel im Stadion bekommt die Kameraposition überspielt, aus der die Entscheidung gefallen ist. Murphy gibt hierzu eine plausible Erklärung:

„Wir wollen dadurch maximale Transparenz, sind uns aber der Problematik bewusst, dass es besonders die Zuschauer im Stadion nicht immer nachvollziehen können, gerade wenn sie gegen ihr Heimteam ausgefallen ist.“

Ein interessanter Ansatz, weil in deutschen Arenen sowohl im Fußball, als auch im Eishockey sämtliche Wiederholungen verboten sind.

Nur ganz selten wurden dem Video Room bisher Fehler nachgewiesen. Die Arbeit der Mitarbeiter läuft nahezu perfekt, trotzdem wird ständig an Verbesserungen gearbeitet. Grenzen bestehen zum Beispiel darin, den Puck zu sehen, wenn er sich in der Fanghand des Torwartes befindet und diese Hand teilweise über der Linie und teilweise davor ist.

„In diesem Fall können und werden wir auch keine Entscheidung treffen“, betont Murphy. „Wir müssen schon 100 Prozent sicher sein und den Puck sehen, wenn wir eingreifen. Ansonsten müssen es die Schiedsrichter entscheiden.“

Diese Fälle sind aber äußerst selten.

Wer glaubt, dass die Arbeit in diesem Raum ein Traumjob für jeden Eishockeyfan sei, dem sei gesagt, dass die Mitarbeiter in der Regel sieben Tage die Woche von 15 bis 1 Uhr im Schichtbetrieb arbeiten müssen, weil in der NHL jeden Tag Spiele stattfinden und an der Westküste aufgrund der Zeitverschiebung erst um 22 Uhr Ortszeit in Toronto angefangen wird. Sollte es in den Playoffs noch Verlängerung geben, werden es lange Nächte.

„Wir haben hier auch schon in Schichten auf dem Boden geschlafen“,

scherzt Murphy und einer seiner Mitarbeiter schiebt hinterher:

„Irgendwann kannst du kein Eishockey mehr sehen, auch wenn du noch so großer Fan bist.“

Aber zum Glück ist den kompletten Juli und August frei.

Dieser Artikel erscheint auch auf NHL.com/de

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