Rieder wie einst Sturm

„Ich kann das alles noch gar nicht realisieren, was da gestern passiert ist“, sagt ein immer noch hörbar beeindruckter Tobias Rieder am Montag Abend am Telefon. „Es ist verrückt, wie viele Nachrichten ich erhalten habe und seitdem Interviews geben musste.“ Noch zwei Tage vorher hatte sich kaum jemand für den 21-jährigen Deutschen interessiert. Er war für die Portland Pirates, dem Farmteam der Arizona Coyotes, in der AHL aktiv und befand sich mit diesen auf einer Auswärtsreise in Albany.

„Dort habe ich um 23 Uhr einen Anruf bekommen, dass ich am nächsten Tag gleich früh nach Washington zum NHL-Team fliegen soll“, erzählt Rieder. „Da habe ich noch nicht gewusst, dass ich spielen soll. Dann bin ich hingeflogen und sie haben mir nach der Ankunft gesagt, dass ich am Abend spielen werde. Das ist alles sehr schnell gegangen.“

Rieder kam ungefähr sieben Stunden vor dem Spielbeginn im Verizon Center der Washington Capitals an und war sichtlich überrascht, dass seine Nummer auf dem Tableau neben Antoine Vermette und Kapitän Shane Doan, also den Topspielern der Coyotes, stand. „Ich konnte es erst gar nicht glauben“, sagt Rieder mit einem Lachen in der Stimme. „Ich dachte es wäre ein Fehler und überprüfte noch einmal meine Nummer. Es war großartig mit diesen Jungs zu spielen. Sie sind hart arbeitende Jungs und wirklich sehr talentiert, was es mir einfach gemacht hat.“

Trotzdem konnte Rieder eine gewisse, aber absolut verständliche Nervosität nicht verhindern. „Es war ein absoluter Kindheitstraum, der da in Erfüllung ging“, äußert er sich. „Ich muss zugeben, bei den ersten Wechseln hatte ich schon verdammt weiche Knie. Auf das Eis zu gehen und zu spielen vor 18.000 Zuschauer, davon habe ich immer geträumt, aber wenn es dann soweit ist, läuft nach einer Zeit alles wie im Film ab und du bist voll auf das Spiel konzentriert.“

In der 56. Spielminute setzte Rieder seinem ersten Spiel in der NHL noch die Krönung auf. Doan und er hatten eine Zwei auf Eins Situation. Sein Teamkollege übergab ihm uneigennützig den Puck. „Ich habe eine Lücke gesehen und den Puck zum Glück auch so platzieren können, wie ich das wollte“, analysiert Rieder die entscheidende Szene, in der er mit einem Schlagschuss dem gegnerischen Torhüter Justin Peters keine Chance ließ. „Das Gefühl als er drin war, war natürlich unglaublich.“ Keinen Augenblick hätte er daran gedacht, die Scheibe wieder zu Doan abzugeben, sondern wäre selbstbewusst darauf fixiert gewesen, das Tor zu machen, erklärt er weiter.

„Ich hätte nie damit gerechnet“, erläutert er weiter. „Natürlich wollte ich nur rausgehen, meine Arbeit und die kleinen Dinge richtig machen. Aber es hat sich als großartiges Spiel herausgestellt.“

Sein Trainer Dave Tippett zeigte sich nach dem Spiel ebenfalls begeistert: „In seinem ersten NHL-Spiel holte er zwei Strafzeiten heraus und erzielte ein Tor. Er war von der Situation keineswegs überfordert. Das war es was wir im Trainingscamp von ihm sahen. Er ist ein guter junger Spieler, der ein einfaches Spiel mit einem guten Tempo spielt und ich glaube er hat in die Reihe wirklich gut hereingepasst.“

Rieder gibt zu, dass er schon etwas enttäuscht gewesen wäre, dass er nach dem Trainingscamp zurück in die AHL musste, weil er sich schon eine kleine Chance ausgerechnet hätte. „Es ist sehr schwer, es aus dem Camp ins Team zu schaffen“, erklärt er. „Ich war bis zum Schluss dabei, von daher habe ich gewusst, wenn ich unten meine Leistung bringe, dass ich dann eine Chance habe, irgendwann hoch zu kommen.“

Nun ging es schneller als erwartet und ein Treffer im ersten Spiel ist doch etwas besonderes. Neben der Tatsache, dass sein Tor zum 6-3 durch zwei weitere Gegentreffer auch das Sieg bringende wurde, ist Rieder erst der achte Coyotes-Spieler, der bei seiner Premiere traf. Ob er wisse, dass er sich bereits jetzt auf eine Stufe mit Marco Sturm, dem erfolgreichsten deutschen Torschützen aller Zeiten in der NHL, gestellt hätte?

„Ja, ich habe es schon gehört“, sagt Rieder zu der Tatsache, dass er nach Sturm erst der zweite Deutsche ist, der in seinem ersten NHL-Spiel gleich treffen konnte. „Marco Sturm ist ein absolutes Vorbild für mich. Wir stehen im Kontakt und sind gute Freunde. Er hat mir mit dem Agenten geholfen, als ich hier herüber kam. Unsere Familien sind befreundet. Er hat mir auch gleich zum meinem Erfolg gratuliert.“

Vielleicht schafft der Landshuter Rieder etwas, was der Dingolfinger Sturm in seiner Karriere nicht geschafft hatte? „Soweit will ich gar nicht denken“, erwidert er bescheiden. „Ich muss erst einmal weiter meine Leistung bringen und mich nach und nach etablieren. Aber den Stanley Cup als Erster nach Bayern zu holen, wäre schon unbeschreiblich schön.“

Rieder genießt erst einmal den Moment, den er sich in den vergangenen vier Jahren hart und mit viel Verzicht erarbeitet hat. „Es ist kein leichter Schritt, Familie und Freunde zurückzulassen“, sagt er zu seinem Wechsel nach Übersee als 17-Jähriger im Jahr 2010. „Aber heute kann ich noch mehr sagen, dass ich es nicht bereut habe.“

Zeit zum Ausruhen bleibt nicht, denn gute Leistungen müssen bei der absoluten Dichte von guten Spielern konserviert und bestätigt werden, sonst geht es auch schnell wieder nach unten. Zumindest mit dem Lebensstil in den USA hat sich Rieder schon angefreundet: „Ich mag das Leben hier. Es ist anders, aber auch gut. Trotzdem finde ich es immer schön im Sommer nach Bayern zu kommen und wieder die andere Seite zu erleben.“

Was während des Winters zu kurz kommt, weiß er ebenso genau: „Am meisten vermisse ich das bayerische Essen, wenn die Mama kocht. Das fehlt mir hier schon sehr und natürlich meine Freunde und die Familie.“

Dieser Artikel erscheint auch auf NHL.com/de

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