Mehr Vertrauen an neuer Wirkungsstätte

Er hatte sich immer etwas mehr Interesse am Eishockey gewünscht, als an dem Standort, wo er gerade spielte. Jonas Hiller war sich bewusst, dass es in Anaheim andere Dinge gibt, welche die Leute in ihren Bann ziehen und dass der Kampf um den Puck auf den gefrorenen Wasser bei überwiegend warmen Außentemperaturen im öffentlichen Leben eher eine untergeordnete Rolle spielt.

Das Interesse an der Franchise Anaheim Ducks stieg zwar mit dem Stanley Cup Gewinn 2007 und den doch sehr erfolgreichen folgenden Jahren merklich an, aber ein Eishockeyspieler konnte sich im Großraum Los Angeles privat sehr frei bewegen ohne von Fans angesprochen oder behelligt zu werden. Ein Umstand, den der Schweizer Torhüter im Gegenzug wiederum durchaus zu schätzen wusste.

 
Seit dem 1. Juli diesen Jahres kommt alles anders und Hiller wird sich an ein komplett neues Umfeld gewöhnen müssen. Schon in der letzten Saison hatte sich abgezeichnet, dass sich der Weg des 32-jährigen Schlussmannes im Süden Kaliforniens dem Ende entgegen neigt. Der erst 24-jährige und eigentliche Backup Frederik Anderson wurde der Nummer 1 der Ducks immer häufiger vorgezogen und bewährte sich durch gute Leistungen. Hiller, der sich im letzten Jahr seines mit 18 Millionen US-Dollar gut dotierten Vier-Jahres-Vertrages befand, musste sich nach und nach mit dem Gedanken anfreunden, dass ihn die Ducks, wo er immerhin seit 2007 spielte, nicht mehr haben wollten.

Als sich Anderson zu Beginn der Playoffs verletzte, zog Trainer Bruce Boudreau vor, den gänzlich unerfahrenden 20-jährigen John Gibson aufzustellen. Hiller wirkte in den Interviews zu seiner Zeit immer ruhig und gelassen auf die Situation, aber innerlich brodelte es gewaltig in ihm. Angesprochen auf die Situation im letzten Winter äußerte er sich kürzlich in einem Interview mit der Zeitung Calgary Harald: „Definitiv frustrierend. Nach der Olympiade fühlte ich nicht, dass der Trainer noch an mich glaubte. Es ist immer schwer als Torwart zu spielen, wenn du fühlst, dass der Trainer dir nicht mehr vertraut.“

„Danach war ich zwar da, aber ich fühlte nicht, dass ich Bestandteil ihrer Planung für diese Saison oder für die Zukunft war. Es macht nie Spaß, wenn du fühlst alleine gelassen zu werden … fühlst, dass sie dich irgendwie loswerden wollen. Es war eine schwere Saison.“

Schon im Juni wurde als logische Konsequenz offiziell verkündet, dass Hiller keinen neuen Vertrag in Anaheim erhalten würde. Zeit für einen Neuanfang, der prompt am 1. Juli zu Beginn der Wechselfrist unter Dach und Fach gebracht wurde. Er unterschrieb einen Vertrag über zwei Jahre mit einem jährlichen Verdienst von 4,5 Millionen US-Dollar bei den Calgary Flames.

„Es war wichtig für mich, dass ich die Chance bekomme um den Nummer 1 Job zu kämpfen und in der Lage bin, viele Spiele zu absolvieren“, erklärte Hiller, warum er den Westen Kanadas als neues Ziel wählte. „Ich glaube viele Mannschaften haben Torhüter gesucht. Es hat sich dann auf ein paar reduziert. In Calgary habe ich die beste Chance mich als Nummer 1 Torhüter zu beweisen. Außerdem hat das Management angedeutet, dass sie nicht zehn Jahre warten wollen, um ein gutes Team aufzubauen.“

So optimistisch Hiller in seine neue Aufgabe geht, die Konkurrenz bei den Flames ist mit Karri Ramo nicht zu unterschätzen. Der Finne hat bereits bewiesen, dass er auf hohem Niveau spielen kann. Insofern ist die Position als Stammtorhüter für ihn kein Selbstläufer. Dies betont auch General Manager Brad Treliving: „Es gibt nur ein Tor. Wir haben zwei Jungs, die in der Lage sind gutes Eishockey zu spielen. Für mich ist es Wettbewerb. Das ist, was wir hier aufbauen wollen – Wettbewerb, in allen Positionen.“

Hiller dürfte mit dem Zweikampf kein Problem haben, so lange fair mit ihm umgegangen wird. Eine Konstellation, die er zuletzt in Anaheim nicht mehr verspürt hatte. Dabei hätte er ein sauberes Ende verdient gehabt. Immerhin 326 Mal in der regulären Saison und 26 Mal in den Playoffs stand er für die Enten im Tor. 174 Siege bei 154 Niederlagen, davon 32 in der Verlängerung und ganze 24 Shutouts konnte er für die Franchise verbuchen. Knapp über 10.000 Saves machte er und kam so auf eine Fangquote von über 92 Prozent.

2007 feierte der vom HC Davos gekommene Hiller ausgerechnet in Europa auch vor den Augen vieler Schweizer Fans in der O2 Arena von London bei der NHL Premiere sein Debüt in der besten Liga der Welt beim amtierenden Stanley Cup Sieger. Häufig plötzlich auftretende Schwindelanfälle kosteten ihm fast die gesamte Saison 2012-13, doch ansonsten war er ein verlässlicher Spieler, der stets fokussiert und akribisch an sich arbeitete, um den vielleicht entscheidenden kleinen Tick besser zu werden.

So wird Hiller ebenso hoch motiviert an seine neue Herausforderung in Calgary herangehen. Dies ist gewiss. Erstmals hat er nun die Gelegenheit zu sehen, wie es ist, in einer Eishockey verrückten Stadt zu arbeiten. In Kanada wird anders als in Kalifornien diese Sportart gelebt und sie kennen sich dort aus. Er wird sich also auch daran gewöhnen müssen, dass er auf der Straße, im Supermarkt, beim Tanken oder im Restaurant erkannt werden wird, als Hiller der NHL-Torwart der Flames. Schließlich wechselt er außerdem von einer weitläufigen Millionen-Metropole ins verhältnismäßig beschauliche Calgary, das zwar genauso über eine Million Einwohner besitzt, doch verglichen mit L.A. eher wie eine Kleinstadt wirkt.

Dieser Artikel erscheint auch auf NHL.com/de

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