Zuhause in Boston

Wenn es eine Trophäe für den besten unterbewerteten Spieler in der NHL gäbe, Dennis Seidenberg wäre ein Top-Favorit auf diesen Titel. Er spielt als „Mr. Zuverlässig“ bei einem Spitzenverein in der weltweit höchsten Eishockeyliga und jeder, den man fragt, spricht nur Gutes über ihn. Nach vier Teams in vier Jahren kam er 2009 nach Boston. Seitdem ist die Nummer 44 nicht mehr wegzudenken und gehört unangefochten mit dem großen Zdeno Chara zu den Top-Verteidigern bei den Bruins.

Sprung nach Nordamerika

Viele sehr gute Eishockeyspieler versuchten den Sprung in die beste Eishockeyliga der Welt, aber nur wenige Spieler schafften es, sich dauerhaft zu etablieren. Für Seidenberg begann das Abenteuer in der NHL im Jahr 2001, als sich die Philadelphia Flyers die Rechte am jungen deutschen Verteidiger sicherten. Seine NHL-Karriere startete aussichtsvoll mit über 50 Spielen in der Saison 2002-03. Danach stockte seine Entwicklung, bis er die gesamte Saison 2004-05 im Farmteam der Flyers verbrachte. Er schaffte zwar den Sprung zurück in die NHL, konnte bei den Flyers jedoch nie zur erhofften Defensiv-Stammkraft heranwachsen.

Wanderjahre durch die NHL

Die Gesellen vergangener Zeitalter wanderten zu fremden Orten und Regionen, um neue Arbeitsbereiche kennenzulernen, um schließlich Meister werden zu dürfen. Dennis Seidenberg machte diese Zeit von 2005 bis 2009 durch: Er wechselte 2005 von den Philadelphia Flyers zu den Phoenix Coyotes, noch während der Saison 2006-07 zu den Carolina Hurricanes und landete zur Spielzeit 2009-10 bei den Florida Panthers. Mit der Erfahrung von etwas mehr als 150 NHL-Spielen bei den Flyers und Coyotes, versuchte er bei den Hurricanes einen neuen Anlauf. Seidenberg nutzte die Zeit, sich weiterzuentwickeln, bis ihm schließlich in der Saison 2007-08 der Durchbruch gelang: Mit einer vollen Saison im Profi-Team, in der er 30 Punkte in 70 Spielen beitrug und seine erste ausgedehnte Playoff-Phase spielte, schien es Dennis Seidenberg in der NHL geschafft zu haben. Aber auch in Carolina folgte nach über 100 Spielen der Wechsel nach Florida, den Dennis noch gut in Erinnerung hat: „Damals hatte ich ein gutes Jahr in Carolina und wollte am ersten Tag als vertragsloser Spieler unterzeichnen. Doch dann passierte bis zum Trainingscamp nichts. In dieser Zeit allein auf der Couch zu sitzen, ist das schrecklichste der Welt.“ Kaum hatte er sich in Florida eingespielt, kam noch vor Saisonende die nächste Wechselperiode und für Seidenberg war nach über 350 NHL-Spielen klar: Die Zeit des Reisens sollte zu Ende gehen. Und die Suche nach einem festen Platz in einem Team beflügelte den Deutschen.

Wechsel zu den Bruins

Kurz vor Ende der Saison 2009-10 kam dann der bisher letzte Vereinswechsel: Seidenberg ging von den Florida Panthers zu den Boston Bruins – ein Tausch, der sich für das Team aus Massachusetts und Seidenberg bezahlt machen sollte. Die ersten drei Jahre in Boston waren die erfolgreichsten Jahre seiner Karriere, die er vorerst in 2011 mit dem Stanley Cup krönte. Seidenberg stieg damit zu den wenigen Deutschen auf, die einen großen Titel in einer amerikanischen Profi-Liga gewannen. Im Eishockey gelang das zuletzt Uwe Krupp mit den Colorado Avalanche vor fast zwei Jahrzehnten im Jahr 1996. Wie unbekannt Dennis Seidenberg bis zu diesem Zeitpunkt war, zeigte die Reaktion von Dirk Nowitzki, dem besten deutschen Basketballspieler in der NBA, der den Namen seines Landsmanns in der NHL damals zum ersten Mal mitbekam. Für Dennis Seidenberg war das ein Ansporn, besser zu werden. Doch er bleibt fokussiert und hat die Regeln, die im Geschäft der NHL gelten, vor Augen: „Jeder hat im Hinterkopf, dass die Stimmung schnell kippen kann. Letztes Jahr in den Playoffs gegen die Toronto Maple Leafs war es sehr knapp. Wäre es damals anders ausgegangen, sähe unsere Kabine heute ganz anders aus.“

Heimat in Boston

Doch nach einem langfristigen Vertrag sah es vor der Spielzeit 2013-14 nicht unbedingt aus. Die Bruins gaben ihr Geld für die Verlängerungen von Top-Goalie Tuuka Rask und Stra-Center Patrice Bergeron aus. Seidenberg nahm es locker und wolle es „nehmen wie es kommt“. Aber nach all den Wanderjahren durch die Liga wollte Seidenberg seiner jungen Familie stabilere Bedingungen bieten: „Ich schaute auf meine Familie: Unsere Kinder gehen in die Schule und wir wollten wissen, wie die kommenden Jahre aussehen.“

Die Erlösung kam, als der General Manager der Bruins, Peter Chiarelli, die Vertragsverlängerung mit Seidenberg um vier weitere Jahre bestätigte: „Dennis ist ein Kernelement unseres Teams. Ein Spieler wie ihn findet man nur schwer und nur wenige Verteidiger in unserer Organisation bringen ein ähnliches Gesamtpaket wie Dennis mit.“

Für den Cheftrainer der Boston Bruins, Claude Julien, ist die Vertragsverlängerung eine logische Konsequenz der Erfolge aus den letzten Jahren: „Wir haben mit Dennis Seidenberg und Zdeno Chara zwei Top-Verteidiger. Dennis ist wichtig für uns, weil er Stabilität in unsere Abwehr bringt. Wir sprechen heute noch vom Titeljahr, als er und Zdeno wahrscheinlich die beiden Spieler waren, die am Ende ausschlaggebend für unseren Erfolg waren.“ Die Einschätzung von Julien teilen viele Mitwirkende und Beobachter aus dem Umfeld der Bruins. Einige bedienen sich spontan eines Vergleichs mit einem deutschen Autohersteller, dessen Fahrzeuge der Werbung nach zuverlässig laufen und laufen und laufen. Julien fasst daher nur zusammen, was viele denken: „Er ist stark und er ist sehr zuverlässig: Wir können ihn nicht genug loben. Er ist noch jung genug und hat viele Eishockeyspiele vor sich. Sein Typ, auf und neben dem Eis, passt sehr gut in unser Teamkonzept. Er suchte zudem nach etwas Sicherheit für seine Familienpläne. Deshalb haben wir mit ihm für vier Jahre verlängert.“

Dennis selbst hat die Situation erleichtert verarbeitet: „Einen neuen Vertrag zu haben, ist ein beruhigendes Gefühl. Es ist gut zu wissen, dass ich gemocht werde.“. Ihn zu mögen, fällt sehr leicht. Er weiß auch, dass dieses allein nicht reicht, um bei einem Top-Klub zu spielen: „Ich versuche nichts zu ändern und einfach so weiterzuspielen, wie bisher. Mein Team weiß, was es von mir Spiel für Spiel erwarten kann. Ich kann etwas zur Offensive beitragen, aber gerade sehr stark defensiv spielen. Ein Verteidiger wird an Gegentoren gemessen. Es ist das A und O als Verteidiger, zuverlässig gut zu stehen. Deine Mitspieler auf dem Eis müssen Vertrauen zu dir haben.“

Ausblick

Seidenberg will weitere Titel gewinnen und fühlt sein Team hinter sich: „Jeder ist heiß, einen neuen Anlauf auf den Stanley Cup in Angriff zu nehmen. Zdeno Chara ist ein Anführer der Mannschaft. Wir haben viele Spieler, die Erfahrung mitbringen, einfach guter Mix aus jung und alt. In unserer Kabine wird klar, dass jeder an einem Strang zieht.“ Neben den Titeln denkt Dennis zuerst an seine Familie: „Ich bin durch meine Eltern hier: Das werde ich nie vergessen. Meine Frau hat mich über die Jahre viel unterstützt. Ich bin sehr froh, dass wir eine sichere Zukunft haben. Wenn wir in Boston bleiben sollten, man weiß ja nie, würden wir gerne aus Boston unser Zuhause machen.“

Dennis Seidenberg ist ein außergewöhnlicher Eishockeyspieler mit scheinbar allen guten Eigenschaften. Darüber hinaus ist er ein sehr sympathischer Mensch, der mit seiner Familie beste Aussichten auf stabile Jahre in Boston hat. Dafür gibt er Nacht für Nacht alles in den NHL-Stadien quer durch Nordamerika und beweist, dass es sich lohnt, die vielen Jahre der Unsicherheit und des Wechsels auf sich zu nehmen. (von Gerulf Ketz)

Dieser Artikel erscheint auch auf NHL.com/de

2 Gedanken zu „Zuhause in Boston

  1. Macht mal einen Bericht über Grubauer den (vielleicht) legitimen Nachfolger von Olie the Goalie 😉

    Der ist doch tatsächlich besser in die NHL gestartet als Greiss & Kölzig himself !

    1. Der Bericht über Philipp ist in Planung. Seine Leistungen sind uns natürlich nicht entgangen. Erwähnt wurden die aber übrigens schon in meinem Bericht „Kampf um die Stammplätze“ letzte Woche.

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