Orr war einer der besten Verteidiger der Liga und wurde weltweit bekannt durch ein Foto.
Eine Fotografie hält einen Augenblick fest. Manche ist jedoch derart gelungen, dass sie mehr ist als eine Momentaufnahme. Sie erzählt eine Geschichte, sie vermittelt Emotionen und ruft damit beim Betrachter sogar Erinnerungen an persönlich Geschehenem hervor.Eines der wohl besten Sportfotos aller Zeiten, das weltweit berühmteste aus dem Eishockeysport, hat Ray Lussier am 10. Mai 1970 im vierten NHL Stanley Cup Finale zwischen den Boston Bruins und den St. Louis Blues geschossen. Es zeigt Bruins Verteidiger Bobby Orr kurz nachdem er das Siegtor zum 4-3 Endstand in der 40. Sekunde der Verlängerung erzielt hatte und mit ausgestreckten Armen vor dem gegnerischen Kasten beim Torjubel horizontal in der Luft liegt. Durch dieses Foto, dem bekanntesten in der NHL Geschichte, ist der Name Orr auch Jahrzehnte danach den ganz jungen Eishockeyfans auf dem ganzen Globus ein Begriff geworden. Für die Bruins hatte mit Orrs Treffer das 29-jährige Warten auf einen weiteren Gewinn des Stanley Cups ein Ende.
Der aus Ontario stammende Kanadier beschreibt die Szene, der ein Doppelpass mit Derek Sanderson vorangegangen war, folgendermaßen:
„Als ich den Puck von Derek zugespielt bekommen hatte, bin ich diagonal zum Torraum gelaufen, Glenn (gemeint ist Blues Schlussmann Glenn Hall) musste der Bewegung folgen und es ergab sich gezwungenermaßen eine Lücke zwischen seinen Schonern. Ich habe einfach nur versucht die Scheibe aufs Tor zu bringen, als ich mich dann umblickte sah ich sie im Netz liegen und bin vor Freude abgesprungen.“
Vorausgegangen war Orrs Schuss ein Beinstellen von Blues Verteidiger Noel Picard, was aber nicht ausschlaggebend für die spektakuläre Flugeinlage war, die mittlerweile auch in Metall gegossen als überlebensgroße Statue vor der Spielstätte der Bruins, dem TD Garden, verewigt wurde.
Nicht nur wegen dieses Tores hat sich Bobby Orr einen Platz in den Geschichtsbüchern des Eishockeys und speziell in jenen der Boston Bruins gesichert. Innerhalb von vier Jahren, von 1966 bis 1970, entwickelten sich die Bruins von einem Punktelieferanten als Tabellenletzter zu einem Champion. Die Art wie Offensiv Orr seine Position als Verteidiger interpretierte und auf dem Eis umsetzte, sollte das moderne Eishockey bis in die heutige Zeit hinein beeinflussen.
Als 18-Jähriger begann er in der Saison 1966/67 seine NHL-Karriere und wurde auch gleich am Ende der Spielzeit zum besten Rookie der Liga ernannt. Bruins‘ damaliger General Manager Milt Schmidt erregte Aufsehen als er in einem Interview der Hockey Illustrated zu Protokoll gab:
„Orr ist uns US$ 2 Millionen wert (Anm.: eine unglaubliche, noch nie gehörte Summe für einen Eishockeyspieler zu jener Zeit), denn wir können um ihn herum 15 bis 20 Jahre lang eine Mannschaft aufbauen und glauben sie ja nicht, dass wir dies nicht beabsichtigen.“
Ein Jahr später wurde Bobby Orr mit der Norris Trophy ausgezeichnet und das obwohl er nur 46 Saisonpartien absolvieren konnte. Das Unvorstellbare gelang ihm dann in der übernächsten Saison. Wohlgemerkt als Verteidiger wurde Orr mit 120 Punkten Topscorer der Liga und nach Ex-Bruin Eddie Shore, der erst zweite Blueliner, dem es gelang die Hart Trophy als wertvollster Spieler der Liga abzuräumen. Noch weitere zweimal sollte ihm das in der Folgezeit gelingen.
Bobby Orr war ein Verteidiger der punktete wie ein Topstürmer, der passen konnte und ein Auge für seine Mitspieler hatte wie ein Spielmacher und in der Defensive so kompakt stand und die Laufwege zumachte wie ein reiner Abwehrspezialist. Manch ein Kritiker war dazumal der Meinung, dass Orr ineffektiv verteidigt.
Trainerlegende Scotty Bowman äußerte sich hierzu in seiner ihn eigenen trockenen Art:
„Solche Aussagen lassen mich nur mit dem Kopf schütteln. Wenn ich mit meinen Mannschaften gegen Orr oder auch Gretzky gespielt habe, dann hatten sie die meiste Zeit, die sie auf dem Eis standen auch die Scheibe. Wie soll denn der Gegner Tore schießen, wenn er erst gar nicht an den Puck kommt. Also für mich schaut das nach verdammt guter Defensivarbeit aus.“
Insgesamt acht Mal in Folge wurde Bobby Orr als bester Verteidiger der NHL ausgezeichnet. Zu Beginn der Spielzeit 1971/72 unterschrieb er einen mit jährlich US$ 200.000 dotierten 5-Jahreskontrakt bei den Bruins. Es war der erste Millionenvertrag für einen Eishockeyspieler weltweit.
Wegen einer Knieverletzung konnte der zweifache Stanley Cup Gewinner in seiner letzten Saison mit den Bruins nur noch zehn Partien absolvieren, nachdem er ein Jahr zuvor mit 135 Scorerpunkten seine alte Bestmarke aus der Spielzeit 1970/71 um vier Zähler nur knapp verfehlt hatte. Es folgte der Wechsel zu den Chicago Blackhawks, für die er in zwei Jahren 26 Spiele bestritt, ehe der für viele beste Eishockeyverteidiger aller Zeiten mit erst 31 Jahren nach insgesamt zwölf Knieoperationen seine aktive Laufbahn beenden musste.
Wenn sein Name fällt ist unser Bewusstsein sofort mit einem Bild zur Stelle. Viele von uns haben Orr nie live spielen sehen, da wir zu spät geboren sind und doch glauben wir seine Spielweise zu kennen als wären wir selbst dabei gewesen – weil wir eben dieses ausdrucksstarke Foto gesehen haben und es sich uns eingebrannt hat.
Dieser Artikel erscheint auch auf NHL.com/de
Sehr schöner Bericht über eine wirkliche Legende!
Hallo Erich,
freut mich sehr, dass Dir der Bericht gefällt.
Grüße
Bernd