Das deutsche Duell

Medienzentrum Vancouver

Rückblick auf das Stanley Cup Finale 2011

Dass sich zwei deutsche Spieler im Stanley Cup Finale gegenüber standen, gab es bis zu diesem Jahr noch nie. Nach Uwe Krupp 1996 mit der Colorado Avalanche, der damals auch als erster Deutscher den ältesten Sportpokal der Welt hochhalten durfte, schafften es nur Torhüter Olaf Kölzig mit den Washington Capitals 1998 und Christoph Schubert mit den Ottawa Senators 2007 ins Endspiel um die Meisterschaft in der NHL einzugreifen; und jetzt eben Christian Ehrhoff (Vancouver Canucks) und Dennis Seidenberg (Boston Bruins). Es ist ein langer und beschwerlicher Weg durch die 82 Spiele andauernde Saison, sowie die anschließenden Playoffs, wo noch einmal 16 Siege in maximal 28 Spielen geholt werden müssen und nicht Wenige behaupten daher, dass der Gewinn des Stanley Cups das schwierigste Unterfangen aller Sport-Profiligen überhaupt ist.

Was passiert bei einer Finalserie hinter den Kulissen und welche Belastungen müssen die Spieler wirklich wegstecken? Dieser Frage sind wir in den 16 Tagen Anfang Juni im dauernden Kontakt vor Ort mit den beiden deutschen Verteidigern auf den Grund gegangen.

Es begann einen Tag vor dem ersten Spiel in Vancouver. Am Dienstag, den 31. Mai 2011 herrschte bereits hektisches Treiben im Rogers Place. Nicht nur, dass die Arena auf den großen Showdown vorbereitet wurde, sondern es war der sogenannte ‚Media Day‘, also der Tag der Medien. Hunderte von akkreditierten Journalisten, vor allem aus den USA und Kanada, aber auch aus Tschechien oder Skandinavien, sowie wir aus Deutschland hatten die Möglichkeit mit allen Spielern in Kontakt zu treten und die Trainer vor Beginn der Serie zu interviewen. Dazu musste von dem perfekt eingespielten Team der Medienbetreuung der NHL alles vorbereitet werden. In den Gängen wurde extra ein großes Medienzentrum aufgebaut und jeder Spieler hatte einen vorbereiteten Platz mit seinem Namenschild, wo er später für Fragen bereit stand.

Noch konnte man unter den Spieler eine gewisse Mischung aus Anspannung und Gelassenheit spüren. Schon beim ersten Treffen mit Christian Ehrhoff von den heimischen Vancouver Canucks zeigte sich, dass er anders als Dennis Seidenberg schon von klein auf, davon geträumt hatte, den naheliegenden Triumph zu realisieren. „Es ist das Größte, was ein Eishockeyspieler erreichen kann“, sagte der 28-jährige aus der Kleinstadt Moers.

„Ich war zehn oder elf Jahre alt, als ich verstand, was der Stanley Cup ist und seitdem habe ich im Hinterhof immer mit Freunden um ihn gekämpft. Man träumt davon, irgendwann mal hier zu stehen.“

Nur klar, dass Ehrhoff mit 13 Jahren auch live am Fernseher dabei war, als Uwe Krupp das entscheidende Tor zum Cupgewinn schoss. Dass er jetzt 15 Jahre später der nächste Deutsche sein könnte, hätte er sich damals nicht erträumen lassen.

Ganz anders äußerte sich hingegen Dennis Seidenberg von den Boston Bruins:

„Ich habe eigentlich nie davon geträumt hier zu spielen. Für Jungs in Europa ist das große Ziel in der Nationalmannschaft zu spielen und an Olympia teilzunehmen.“

Erst spät im jugendlichen Alter von 16 oder 17 Jahren entschied sich der 29-jährige Schwenninger endgültig dafür, sich auf Eishockey zu konzentrieren, nachdem er auch im Tennis durchaus Talente vorzuweisen hatte. Doch die NHL und der Stanley Cup war da noch in weiter Ferne. Aber ca. 12 Jahre später ist die Begeisterung über die letzten Erfolge natürlich groß:

„Seitdem ich hier in USA spiele, ist das natürlich das große Ziel. Es gibt so viele Spieler, aber nur wenige schaffen es hier her, also muss man das schon genießen.“

Das mit dem Genießen fiel in der Folge nicht immer einfach: Unzählige Kamerateams und schreibende Reporter sind täglich auf der Jagd nach Geschichten, Hintergründen, Fakten und manchmal Gerüchten. Jeden Tag, auch an den spielfreien Tagen müssen die Mannschaften Spieler zur Verfügung stellen, die den Medien Rede und Antwort stehen. Nicht immer sind alle Spieler verfügbar, sondern das Management selektiert einzelne Akteure aus. Das macht es uns in der Folge nicht immer einfach, auch an Christian Ehrhoff und Dennis Seidenberg heran zu kommen. So kommt es vor, dass man vergeblich zu einem Termin fährt und unverrichteter Dinge wieder abzieht. Doch mit dem Laufe der Serie und ständigem Kontakt zu den Ansprechpartnern des Teams für die Medien steigt ebenso unser Bekanntheitsgrad, was uns teilweise ungestörte und exklusive Interviews mit den beiden in einem Nebenraum verschafft.

Am meisten Arbeit bezüglich der Medien müssen eindeutig die Trainer verrichten. An den Spieltagen morgens nach dem Training und abends nach dem Spiel jeweils Pressekonferenz und ebenso an den spielfreien Tagen einmal Pressekonferenz. Das macht in 16 Tagen sage und schreibe jeweils 23 Pressekonferenzen pro Trainer. Klar, dass sich dabei Fragen und Themen häufiger wiederholen. Doch im Gegensatz zu manchen vorherigen Finalserien agieren Canucks Coach Alain Vingeault und Bostons Claude Julien sehr souverän und für gelegentliche Späße ist immer wieder einmal Platz. So beantwortete Vigneault die anfänglichen Fragen nach verletzten Spielern wie Dan Hamhuis oder Manny Malhotra grundsätzlich mit einem kurzen und prägnaten: „He’s Day-to-Day!“, also er ist kurzfristig verletzt. Dies führte dazu, dass jedes Mal ein anderer Journalist die Frage stellte und vor Spiel 2 setzte sich der Frankokanadier auf seinen Stuhl und sagte mit einem breiten Grinsen im Gesicht sofort: „Wer stellt heute die Frage?“, um dann wieder mit „Day-to-Day“ zu antworten.

Ehrhoff im Training

Welches Wechselbad der Gefühle die Spieler durchschreiten, das konnte in der Folge gut beobachtet werden. Ein sichtlich gelöster Christian Ehrhoff begegnete uns nach Spiel 2, wo die Canucks soeben durch einen Treffer nach elf Sekunden in der Verlängerung das 2-0 in der Serie gemacht hatten.

„Die Hälfte des Weges ist geschafft, aber in Boston erwarten uns zwei ganz harte Spiele und die Stimmung wird natürlich ähnlich gut sein, wie hier. Boston ist ein Traditionsteam und sie haben eine riesige Fanbasis. Da wird es schon richtig abgehen“,

schätzte er die Situation durchaus richtig ein, was sich in der Folge zeigen würde.

Auf der anderen Seite wirkte Dennis Seidenbarg zwar angeschlagen, aber von Resignation war bei ihm nichts zu spüren.

„Klar hatten wir uns vorgestellt hier mindestens einen Sieg mitzunehmen, aber jetzt fahren wir nach Hause und da müssen wir die Serie wieder ausgleichen. Das wird schwer genug, aber darauf gilt es sich einzig zu konzentrieren. Noch ist nichts verloren.“

Während es sonst üblich ist, dass die Mannschaften bereits nach dem Spiel mit einem Nachtflug reisen, hatten sich beide Kontrahenten entschieden, aufgrund der Flugzeit von über fünf Stunden zwischen Vancouver und Boston noch einmal im Hotel zu übernachten und erst am nächsten Morgen aufzubrechen.

Wir machten uns ebenso am nächsten Morgen auf den Weg, der aber etwas beschwerlicher war, als der der Teams, denn mit Umsteigen in Denver war man zwischen Vancouver und Boston insgesamt zehn Stunden bei einer effektiven Flugzeit von sechs Stunden unterwegs. Aber trotz Reisestress und drei Stunden Zeitumstellung mussten die Mannschaften nach der Ankunft am Abend in Boston noch für die Medien für Interviews bereitstehen, wie gewohnt ausgewählte Spieler, sowie die beiden Coaches.

Am nächsten Tag, dem Spieltag von Spiel 3, stand dann wieder das gewohnte Programm an. Doch während Boston aufgrund des frühen Beginns von 17 Uhr Ortszeit in Vancouver immer auf den Morning Skate verzichtete, präsentierten sich an der Ostküste aufgrund des späteren Bullys um nach 20 Uhr Ostzeit in der Frühe beide Gegner zum ‚lockeren Aufgalopp‘.

Wir nutzten die Chance, um mit Dennis Seidenberg und Christian Ehrhoff etwas über ein paar Dinge abseits des Geschehens am Eis zu sprechen. Beide wurden in Vancouver erstmals von einem Kamerateam der ARD besucht und interviewt. Daher wollten wir wissen, wie ihr Eindruck von der Berichterstattung in Deutschland ist.

„Ich gehe öfters online und schaue auf die Webseiten, was dort so geschrieben wird“, gab Seidenberg zu. „Es war schön, dass das Fernsehen auch mal da war und einen Bericht gemacht hat, vielleicht bekommen wir so etwas mehr Aufmerksamkeit.“

Ein bißchen Enttäuschung war seinen Worten schon zu entnehmen. Natürlich ist es ihm nicht entgangen, dass Dirk Nowitzki eindeutig die Schlagzeilen dominiert.

„Ja, auf jeden Fall! Er ist zur Zeit die klare Nummer 1. Da kommen wir nicht dagegen an“,

fügte er hinzu. Trotzdem schade, denn Seidenberg und Ehrhoff sind sicher auch Leistungsträger ihrer Mannschaft und bestimmt keine Mitläufer, so dass eine größere Wertschätzung der Öffentlichkeit zu wünschen gewesen wäre.

Christian Ehrhoff hingegen fand schon gut, dass das Interesse in Deutschland an der NHL derzeit größer ist. „Ob das genug ist, ist jedoch schwer zu sagen“, schob er gleich ein paar Zweifel hinterher. Auch bezüglich des deutschen NBA-Stars aus Würzburg, mit dem er befreundet ist und der ihm über den Videowürfel im Rogers Place eine Botschaft sandte, dass er ihm die Daumen drücken würde, sah Ehrhoff ihrer beiden Rollen realistisch: „Da spielen wir einen ganz kleinen Schatten.“ Von der Nachricht seines Freundes hat er vorher gewusst: „Wir haben es in der Kabine als Motivation gezeigt bekommen und es war ganz cool.“ Seidenberg äußerte sich zunächst gelassen angesichts der Tatsache, dass Dirk Nowitzki Ehrhoff unterstützte und von Journalisten darüber informiert wurde, dass der Basketballer auf Nachfrage nicht wusste, dass bei Boston auch ein Deutscher spiele. „Ich kann dazu keinen Kommentar abgeben und diese Sache ist für mich nebensächlich“, wiegelte Seidenberg ab, doch dass es ihn mehr beschäftigte, gab er am Ende der Serie zu. Aber mehr dazu später.

Seidenberg (re.) im Gespräch mit Stefan Herget

Ein unvergessliches Spiel wurde der erste Auftritt in Boston, das die Bruins hinlänglich bekannt mit 8-1 für sich entschieden. Dass die Canucks nicht so schlecht waren, wie das Ergebnis es ausdrückte, zeigte schon das Torschussverhältnis, welches zu ihren Gunsten ausging. Eine Begegnung, die vor allem zusätzlich wegen großem Kampf und sehr physischer Präsenz geprägt war. Unglaublich, was die Akteure nach einer so langen Saison noch aus sich heraus holten. Auch unsere deutschen Cracks kamen erstmals in direkten Kontakt, denn als Dennis Seidenberg in Überzahl zu einer Offensivaktion startete, stellte sich Christian Ehrhoff ihm in den Weg. Seidenberg ging zu Boden und Ehrhoff bearbeitete ihm mit dem Stock am Rande der Legalität. „Mein Bruder Yannic, der hier ist, hat mir das erst erzählt“, teilte uns Seidenberg später mit. Er selbst lag mit dem Bauch nach unten am Eis und hatte nicht gesehen, wer es war.

„Ich würde das aber genauso machen, wenn er in meine Ecke runter kommen würde. Das macht schließlich den Spaß aus, solche Zweikämpfe zu haben“,

zeigte er durchaus Verständnis für den Landsmann.

Für Ehrhoff war es – mit einem breiten Grinsen bei der Aussage – ein ganz normaler Zweikampf, der sein muss. Wir warnten ihn bereits vor, dass es Dennis genauso machen würde.

Einen Tag später in Spiel 4, wo die Canucks erneut optimistisch in die Partie gingen, aber noch schwächer agierten, nutzte dann Seidenberg die Gelegenheit einen sauberen, aber harten Check gegen Ehrhoff auszupacken und so etwas auf seine Art zurück zu geben. Wichtiger war aber für ihn, dass mit einem überzeugenden 4-0 Heimsieg der Ausgleich in der Serie geschafft wurde. Christian Ehrhoff, der wegen seiner im Conference Finale erlittenen Schulterverletzung fitgespritzt wurde, wusste, dass beide Partien nicht die seinen waren. „Ich war in beiden Spielen nicht so gut“, gab er unverhohlen zu, um sogleich optimistisch zu bleiben:

„Aber ich muss nach vorne schauen und wir müssen nur unsere Heimspiele gewinnen.“

Je länger die Serie dauerte, desto mehr spürte man, wie die Spieler und Verantwortlichen versuchten, durch Reden positive Aspekte in den Vordergrund zu rücken, um nicht in eine geistige Lethargie zu fallen. Denn gerade, wenn das Niveau so hoch ist, entscheiden oft Zentimeter und diese sind nicht selten durch geistige Frische zu gewinnen.

Dennis Seidenberg benötigte hingegen keine Aufmunderung, denn mit einem breiten Grinsen, begegnete er uns nach der Partie.

„Wir sind jetzt zweifelsohne am Drücker und müssen das nach Vancouver mitnehmen“,

haute er sogleich eine Standardfloskel aus seinem Repertoire heraus. Es war schon faszinierend mit anzusehen, wie sich die Gemütszustände der Kontrahenten von überschwänglich zu betrübt abwechselten.

Zurück in Kanada war es nach Spiel 5 wieder Christian Ehrhoff, welcher der erneut erschienenen ARD strahlend vor der Kamera ein Interview gab. Mit 1-0 hatte Vancouver knapp die Oberhand behalten und damit bereits eine Hand am Cup.

„Wir haben heute wieder unsere Beine gehabt und mit sehr viel Energie gespielt. Zum Glück haben wir dann das Tor gemacht“,

analysierte er die umkämpfte Begegnung. Wir wollten mehr zur physischen und auch psychischen Belastung gerade in einem so engen Spiel wissen:

„Beide Mannschaften haben das gleich. Wir laufen wohl alle auf Reserve und bei den Nerven ist es wohl so, dass die Zuschauer nervöser sind als wir, weil aufgrund der Anspannung verdrängt man das.“

In der Kabine der Bruins war die Stimmung natürlich wieder getrübter, doch Dennis Seidenberg stand vor seinem Spind und beantworte geduldig die nicht zu Enden scheinenden Fragen der amerikanischen Kollegen und schließlich der ARD. Zur körperlichen Belastung stellte er nur fest, dass

„man im Finale so gepuscht wird, dass man nach 110 Spielen nicht an die körperliche Belastung denkt und das ausschaltet. Durch viel Konzentration und Adrenalin ist Müdigkeit überhaupt kein Thema. Die macht sich dann eher hinterher bemerkbar.“

Mit der Hoffnung im Gepäck mit einem weiteren überzeugenden Auftritt in Boston wieder zurück nach Vancouver zu kommen oder im Falle der Kanadier mit dem Stanley Cup an Bord, traten alle Beteiligten die erneute Reise nach Boston an. Im Flugzeug saß mit John Peters(54) ein eingefleischter Canucks Fan neben mir, der seit 14 Jahren eine Jahreskarte besitzt. Er sagte mir, dass er sehr pessimistisch war vor Spiel 5, denn die Niederlagen in Boston waren für sein Team doch sehr deutlich. Er hätte nie gedacht, dass sie wieder so stark spielen würden. Trotzdem müsste noch der letzte Sieg eigefahren werden, was schwer genug sei. Er war der Meinung, dass die Canucks mit dem in Spiel 1 verletzten Dan Hamhuis und den nach Spiel 3 gesperrten Aaron Rome eine stabilere Verteidigung gehabt und dann wohl die Serie für sich entschieden hätten. In zwei Punkten mussten wir dann intensiver diskutieren, denn ich vertrat im Gegensatz zu ihm die Meinung, dass Romes Check gegen Nathan Horton deutlich zu spät war bzw. von ihm erst gestartet wurde, als sein Gegenspieler den Puck gespielt hatte und daher Absicht zu unterstellen war und dass die Canucks auch mit dem nötigen Quentchen Glück in den Playoffs so weit gekommen sind. Ich dachte da in erster Linie an die knappen Siege gegen Boston, aber auch den Siegtreffer gegen die San Jose Sharks im Conference Finale. Wir waren uns aber einig, dass es Vancouver aufgrund seiner tollen regulären Saison sicher verdient hätte. Von den Fans in Boston, ebenso wie Philadelphia und den New York Rangers hatte er übrigens keine gute Meinung. Da wäre sehr viel Aggressivität im Spiel, während in Kanada die Leute relaxter sind. Diese Auffassung wurde leider durch ein paar Chaoten, die nach der Niederlage in Spiel 7 in der Innenstadt von Vancouver randalierten ad absurdum geführt.

Die Towels liegen für die Fans in Boston bereit

Aber zurück zum Spiel 6 in Boston. Wenn ein Stanley Cup Gewinner gekürt werden könnte, dann heißt es gerne es wäre ein besseres Flair in der Arena, denn: „The Cup is in the house!“, also zu deutsch: „Der Cup ist im Haus!“. So merkt man auch unter den Presseleuten etwas mehr Nervosität als sonst und alle sind besser gekleidet als die Tage zuvor.

Einen Tag vor der Partie trafen wir Dennis Seidenberg am Morgen nach dem Training.

„Ich bin eigentlich heute sehr entspannt, aber die Nervosität wird bis morgen sicher steigen“, gab er unverhohlen zu. „Die nervliche Belastung nehme ich während dem Spiel kaum zur Kenntnis. Sie ist eher vor dem Spiel da, bis der erste Puck reingeworfen wird und dann kann man schon abschalten“,

fügte er hinzu, um zugleich lachend ein „Meistens“ nachzuschieben. Ob das auch so bleibt, wenn sich die Zeit gen Ende bewegt und das Spiel knapp steht, wollten wir wissen.

„Ich schaue weniger auf die Uhr. Man gewinnt nichts, wenn man sich unter Druck setzt.“

Den Medien wurden immer täglich ausgewählte Spieler im Interviewraum auf dem Podium präsentiert. Auffallend war, dass trotz der doch wichtigen Rolle beider deutscher Akteure Seidenberg und Ehrhoff während der langen Serie nur jeweils einmal ausgewählt worden waren, dort Platz zu nehmen. „Wenn es nach mir gehen würde, dann würde ich überhaupt nicht reden“, scherzte ein sichtlich gelöster Seidenberg auf unsere Frage nach dem Warum. Unverblümt machte er aus seinem Herzen keine Mördergrube und erzählte weiter wie das Prinzip läuft:

„Es ist immer das Selbe. Wenn wir verlieren, redet man darüber, was falsch gewesen ist und wenn wir gewinnen, haben wir die Dinge eben richtig gemacht. Eigentlich legt man sich ehrlich gesagt, dafür schon immer einige Standardantworten zurecht.“

Da es der Tag nach dem NBA Gewinn von Dirk Nowitzki war, wollten wir auch dazu etwas wissen.

„Natürlich habe ich es gestern angeschaut. Es war toll. Es wird ein Superjahr für den deutschen Sport innerhalb einer Woche einen NBA- und einen NHL-Sieger zu haben. Da möchte man seinen Namen schon verewigen, auch wenn Nowitzki mehr Aufmerksamkeit zuteil wird.“

Ebenso wie Seidenberg hatte Christian Ehrhoff ebenfalls am Vorabend den Fernseher an. „Ich habe mich riesig für Dirk gefreut“, merkte der Canucks Verteidiger an. Beide Eishockeyspieler haben sich jedoch etwas über seine Reaktion nach dem Gewinn gewundert, als er erst einmal regungslos in die Kabine gerannt ist.

„Also mich werdet ihr im Fall des Falles jubeln sehen“,

ließ uns ein lachender Ehrhoff wissen.

Daraus wurde schließlich am nächsten Abend nichts, denn die Bruins schafften dann nach etwas nervösem Beginn die Serie erneut auszugleichen. 4-0 stand es nach knapp elf Minuten Spielzeit für die Hausherren. Besser hätte es nicht laufen können und der TD Garden entwickelte sich logischerweise zum Tollhaus. Dem schnellen deutlichen Spielstand war es auch anzurechnen, dass der Stanley Cup gar nicht im Stadion war. Wie die Medien anschließend berichteten, kam ‚Sir Stanley‘ aufgrund eines verspäteten Fluges überhaupt erst kurz vor Spielbeginn in Boston an und der Cupaufseher entschied sich wegen des Spielverlaufs gleich dazu mit dem wertvollen Stück im Hotel zu bleiben. Er behielt recht, denn am Ende stand ein 5-2 Erfolg zu Buche, der die Serie zum entscheidenden siebten Spiel nur zwei Tage später zurück nach Vancouver schickte.

Am Morgen von Spiel 7 in Vancouver merkte man, dass der Spannungsbogen der Serie am Abend seinen Höhepunkt erreichen würde. Die Boston Bruins entschieden sich wie bei jeden Spiel in Vancouver auf das Training am Morgen zu verzichten und empfingen die ‚Pressemeute‘ nach dem Frühstück in ihrem Hotel, dem Westin in der Nähe des Stanley Parks. Obwohl Dennis Seidenberg offiziell nicht für den Termin zur Verfügung stand, durften wir kurz mit ihm sprechen.

„Das erhöht nur die Wahrscheinlichkeit, dass wir dieses Mal gewinnen“,

scherzte er in der Hotellobby auf die Frage, ob das Team nicht abergläubisch sei, weil es zum vierten Mal auf den Morning Skate verzichtete. Seinen Tagesablauf vor dem wichtigsten Spiel seiner Karriere beschrieb er folgendermaßen:

„Ich habe gerade gefrühstückt, werde jetzt etwas spazieren gehen und um 11 Uhr haben wir noch eine Teambesprechung und anschließend Mittagessen. Dann noch etwas Mittagsruhe, ich schlafe immer ein wenig, und gegen 14 Uhr geht es schon ins Stadion.“

Auf Nachfrage erfuhren wir, dass das Mittagessen in der Regel aus Salat, Nudeln, Kartoffeln und Geflügelfleisch bestünde und an richtigen Schlaf sei danach nicht zu denken, sondern eher etwas ausspannen. Von der Familie wären heute Abend seine amerikanische Frau Rebecca, sein Bruder Yannic, der bei den Adler Mannheim spielt und seine zukünftige Schwägerin anwesend und würden die Daumen drücken. Dann verabschiedete sich Dennis mit Tomas Kaberle Richtung Stanley Park zu seinem Spaziergang.

Nur 20 Minuten später trafen wir ihn wieder in der Hotellobby und auf unsere Frage:

„Eine Umrundung des Stanley Parks (Anm. ca. 9 km) war es aber nicht?“ antwortete er lächelnd: „Nur bis zum Bootshaus und zurück, das reicht!“

Er setzte sich dann zwar mit Kaberle auf ein Sofa, doch dass das keine gute Idee war, zeigte sich schnell, denn mehrere Fototermine mit Fans mussten absolviert werden, die die beiden zwar geduldig über sich ergehen ließen, aber wenig später die Flucht auf das Zimmer ergriffen. Mit einem „etwas viel los hier“ und „wir sehen uns heute Abend“ verabschiedete er sich Richtung Aufzug.

Ehrhoff und Seidenberg beim Shakehands

Als wir im Stadion angekommen waren, war das Training der Vancouver Canucks bereits in vollem Gang. Aber nur wenige der Stammspieler nutzen die Gelegenheit sich am Eis warm zu machen, sondern es waren nur Spieler mit wenig Eiszeit und Ersatz tätig. Trotzdem trafen wir den frisch geduschten Christian Ehrhoff, der uns mit einem Dallas Mavericks T-shirt und ’41 Nowitzki‘ Aufdruck bekleidet war. Als wir schmunzelnd das coole Shirt ansprechen, entgegnete er trocken: „Etwas Inspiration für heute Abend!“ Schließlich ließ er uns noch etwas teilhaben an seinem Innenleben:

„Die Anspannung ist auf jeden Fall größer als vor zwei Tagen in Boston“.

Während Dennis Seidenberg auf uns zumindest nach außen trotzdem locker wirkte, merkte man Christian Ehrhoff diese Anspannung doch deutlich an.

„Wir haben etwas Workout gemacht und jetzt fahren wir noch einmal uns etwas ausruhen, dann Mittagessen und am frühen Nachmittag treffen wir uns hier wieder“,

skizzierte er seinen Tagesablauf. Von seiner Familie würde natürlich seine Frau Farina im Stadion dabei sein und auch seine Mutter Gaby sei zur Zeit in Vancouver, nachdem vor sechs Wochen die zweite Tochter Milla zur Welt kam. Auch ihm wünschten wir für das entscheidende Spiel alles Gute, aber bekanntlich konnte nur einer von beiden gewinnen.

Seidenberg mit Frau und Bruder sowie dessen Gattin

„Es war schade, dass einer von uns beiden verlieren musste, aber Christian hat eine hervorragende Saison gespielt und dazu habe ich ihm beim Shakehands gratuliert. Ich bin natürlich glücklich auf der Siegerseite zu stehen, aber er wird nächstes Jahr umso härter angreifen“,

diktierte ein sichtlich freudestrahlender Dennis Seidenberg knapp neun Stunden später in unser Mikrophon. Seine Bruins hatten mit einem 4-0 Historie geschrieben, denn es war erst das dritte Team in der langen Geschichte, welches nach einem 2-3 Rückstand in der Serie auswärts Spiel 7 für sich entscheiden konnte. Selbst dass Dennis offiziell zwei Vorlagen beisteuerte ließ ihn bescheiden bleiben:

„Die waren sehr glücklich, denn den einen habe ich nur aus der Zone geschossen und der andere war ein Abpraller. Von dem her muss man das alles relativieren“.

Wie sehr die Anspannung und die Aufregung abfällt, lässt sich kaum beschrieben und die Einflüsse, die auf einem Körper in solchen Glücksmomenten einfließen, sind nicht zu lokalisieren:

„Man schwebt auf Wolke 7 und versucht alles aufzusaugen, doch man kann nichts festhalten und zur Verarbeitung wird man einige Wochen brauchen.“

Natürlich war die Enttäuschung in der Kabine der Canucks groß, teilweise flossen auch bei den harten Eishockeymännern die Tränen, wenn eben im Gegenteil die Anspannung abfällt und man es nicht geschafft hat, sich also bodenlose Enttäuschung breit macht, weil all die Anstrengungen und Entbehrungen umsonst waren. Zumindest enpfindet man in diesem Moment so. Auch Christian Ehrhoff rang nach Worten:

„Es hat heute nicht sollen sein. Sie waren den Tick besser und haben die Tore erzielt.“

So einfach und zugleich brutal kann manchmal der Sport sein. Des einen Glück, des anderen Leid.

In der Siegeseuphorie bekannte dann Dennis Seidenberg, dass ihm die Botschaft von Dirk Nowitzki, er würde seinen deutschen Landsmann Christian Ehrhoff die Daumen drücken, doch etwas gewurmt hatte:

„Ein bißchen Genugtuung verspüre ich ehrlich gesagt schon. Ich habe am Anfang gesagt, dass es mich nicht so arg gestört hat, wollte keine Reisengeschichte draus machen, aber im Inneren hat es mich schon geärgert.“

Sogleich bringt er es aber auf einen kurzen Nenner:

„Aber ich habe gewonnen und dann ist das alles egal.“

So gingen 16 aufregende Tage zu Ende, in denen sich zum ersten Mal in der Geschichte der NHL zwei deutsche Eishockeyspieler im Stanley Cup Finale gegenüber standen. Wir bedanken uns bei beiden für ihre Geduld und dass sie uns stets für die Fragen bereit standen. Wir hoffen auf eine Fortsetzung der Erfolgsgeschichte der deutschen Eishockeyspieler, aber auch für Österreich oder die Schweiz wäre es schön, wenn einer ihrer Spieler, den Cup in die Höhe stemmen würde. Schließen wir den Bericht mit dem neuen deutschen Stanley Cup Sieger Dennis Seidenberg:

„Eishockey sollte eigentlich in Deutschland noch populärer werden und vielleicht konnte dieser Sieg etwas dazu beitragen.“

Schade nur, dass sich Seidenberg dagegen entschieden hat, den Stanley Cup nach Deutschland zu bringen. Das hätte neben den Erfolgen der Nationalmannschaft weitere Aufmerksamkeit garantiert. So muss Mitteleuropa weiter auf einen Besuch des ältesten Sportpokal der Welt warten. Vielleicht im nächsten Jahr.

Alle Fotos von Torsten Müschner

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