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nr.41 / april 2001 

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EISHOCKEYLEGENDEN - Maurice Richard

von Stefan Herget

Mit dem Blick eines Psychopathen


Trauer erfüllte einen Morgen, den 27. Mai, im Frühling 2000 in Montreal, als Maurice 'Rocket' Richard nach langer schwerer Krankheit den Kampf gegen den Krebs verloren hatte. Doch nicht nur in Montreal, sondern in ganz Kanada und Nordamerika nahmen Wegbegleiter und Fans des grandiosen Eishockeyspielers Anteil am Ableben des Mannes mit dem legendären starren Blick, des Mannes, dessen seltene Kombination aus Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Kraft das Eishockey revolutionierte.
Aus British Columbia meldete sich Torhüter Chuck Rayner, der vom Verstorbenen so manches Tor kassierte und bezeichnete Richard als einen 'feurigen Spieler'.
Fast 2.000 Kilometer entfernt in Gorgia meinte ein von der Nachricht sichtlich geschockter früherer Canadiens Star und damit Teamkollege Richards 'Boom Boom' Geoffrion, dass man jedes Mal, wenn er den Puck bekam, die Anspannung im Publikum spürte.
In Dallas, jetziger Stars General Manager und ebenfalls früherer Canadiens Spieler Bob Gainey neigte das Haupt und flüsterte nur: 'Er war ein Aushängeschild.'
Canadiens Legende Jean Beliveau, der heute in Quebec lebt, sagte, dass Richard 'bevorzugte auf dem Eis alles zu geben. Ich sage jungen Spielern immer, sie sollen sich das Feuer anschauen, das seine Augen ausstrahlten.'

Bei Richard waren seine Augen ein Fenster in seine Seele. Wenn man in sie blickte, konnte man seinen unbändigen Willen sehen. Sie waren dunkel und so groß wie Untertassen und sie wurden noch dunkler, größer und beängstigender, wenn er den Puck am Schläger hatte. Es war so schlimm, dass sich mancher aus lauter Furcht abdrehte.
'Diese Augen waren so wild', betont Wally Stanowski, ein früherer Maple Leafs und Rangers Stürmer. 'Er hatte jederzeit diesen feurigen Blick. Ich habe einmal gehört, dass ihn jemand als einen Blick eines Psychopathen bezeichnet hat. Ich glaube das war eine gute Beschreibung.'

Maurice Richard kam 1942-43 zu den Montreal Canadiens und nur deshalb, weil auch viele Eishockeyspieler angesichts des zweiten Weltkrieges ihren Dienst in der Armee antreten mussten. In seiner Rookie Saison absolvierte der damals 21-Jährige nur 16 Spiele und schoss dabei unauffällige fünf Tore. Der am 4. August 1921 in Montreal geborene und in einem schwierigen, rauhen Umfeld gegenüber von Quebecs Gefängnis aufgewachsene Sohn eines Eisenbahn Maschinisten, brach sich Anfang der Saison den Knöchel und das Handgelenk in einem privaten Amateur Spiel. Obwohl Canadiens Coach Dick Irvin Richards Talent schon früh richtig einschätzte und ihn für den kommenden Mann hielt, sollte der Stürmer von General Manager Tommy Gorman im Austausch für den NHL-Veteranen Phil Watson zu den New York Rangers getradet werden. Doch die Rangers zeigten nichtsahnend über welches Potential der junge Spieler verfügte kein Interesse. 'Wir haben nicht gewusst, dass Richard 'The Rocket' wird, sonst hätten wir das wohl nicht angeboten', bemerkt Irvin heute. 'Ich habe sein Talent zwar erkannt und mich damals gegen diesen Trade ausgesprochen, doch die Argumente, dass Richard eine schwere Verletzung hatte und außerdem keinerlei Erfolge bei den Junioren vorzuweisen hatte, waren erdrückend.' Andere NHL-Stars, wie etwa Mike Bossy oder Mario Lemieux zeigten schon in jungen Jahren hervorragende Tendenzen auf, als sie bei den Junioren mehr als 200 Punkte holten. Doch Richard hatte nichts dergleichen vorzuweisen.

Als er nach seiner Verletzung ins Trainingscamp der Canadiens zurückkehrte, steckte ihn Irvin zusammen mit den erfahrenen Spielern Linksaußen Toe Blake und Center Elmer Lach in eine Reihe. In der Saison 1943-44 stellten diese drei die berühmte 'Punch Line' dar. Nach nur neun Toren von Richard in den ersten 28 Spielen, folgten 23 in den nächsten 18.
Das war ein Vorgeschmack auf Spiel 2 im Stanley Cup Halbfinale gegen Toronto. Im Spiel 1 noch von Torontos Bob Davidson völlig abgedeckt, entfachte Richard in der darauffolgenden Begegnung ein wahres Feuerwerk: Zwei Tore innerhalb von 17 Sekunden im zweiten Drittel, ein weiteres in dieser Periode und zwei im Schlussabschnitt zu einem 5-1 Erfolg. Bis heute sind diese fünf Tore in einem Playoff Spiel NHL-Rekord. Richard führte Montreal mit 12 Toren in neun Playoff Spielen gegen Toronto und Chicago zum ersten Stanley Cup Erfolg nach 13 Jahren Durststrecke.

In seinem dritten Jahr schaffte Richard, der von seinem Teamkollegen Ray Getliffe aufgrund seiner wahnsinnigen Schnelligkeit 'The Rocket' (die Rakete) genannt wurde - dieser Spitzname wurde sein Markenzeichen -, das was viele nicht für möglich hielten. Er erzielte in 50 Spielen 50 Tore und hatte dabei 10 Spiele mit mehr als einem Treffer. Auf dem Weg zu diesem Ziel am 28. Dzember 1944 wollte Irvin im Spiel gegen Detroit auf seinen Star Richard eigentlich verzichten, weil dieser beim Morgentraining wegen seines Umzuges in sein neues Haus unentschuldigt fehlte. Irvin ließ sich umstimmen und Richard dankte es ihm beim 9-1 Sieg mit fünf Toren und drei Assists, damals NHL-Rekord.

1946 verhalf Richard den Canadiens zum zweiten Stanley Cup in drei Jahren. Im nächsten Jahr führte die NHL mit 45 Toren an und gewann seine einzige Hart Trophy als wertvollster Spieler der regulären Saison.

Ende der 40er Jahre und Anfang der 50er Jahre lieferte sich 'The Rocket' mit dem aufstebenden Gordie Howe einen Kampf um den inoffiziellen Titel des besten Eishockeyspielers.
Obwohl immer wieder von Verletzungen behindert - Richard brachte es in der Saison 1951-52 nur auf 48 Spiele - schrieb er im Stanley Cup Halbfinale 1952 die am meisten erzählte Geschichte. Im zweiten Drittel des siebten und entscheidenden Spieles gegen Boston, wurde Richard von Bruins Leo Labine gecheckt und fiel mit dem Kopf auf das harte Eis. Die Zuschauer waren schokiert angesichts des Anblickes eines bewusstlosen Richards. Das wars, dachten wohl die meisten, doch nicht für Richard. Er wurde mit sechs Stichen genäht und trotz des Abratens seiner Ärzte kam er im dritten Drittel bei unentschiedenen Spielstand mit einem Kopfverband wieder und erzielte vier Minuten vor dem Ende das entscheidende Tor, indem er vier Bostoner Spieler aussteigen und auch dem Torhüter keine Chance ließ. Die Zuschauer feierten ihn nach dem Spiel mit stehenden Ovationen.

Ein weiterer Gewinn des Stanley Cups folgte 1953, aber Maurice Richard war längst zu einem Idol in Montreal und für alle französischsprachigen Kanadier geworden. Er erreichte eine Stellung wie später Muhammad Ali in den USA für die Afro-Amerikaner. Es verging kein Tag, an dem nicht eine Mutter ihren neugeborenen Sohn ihm zu Ehren den Namen Maurice gab. Howe sagte einmal, er wäre überrascht gewesen, dass Richard keine stehenden Ovationen bekam, als er durch ein Kaufhaus ging.
Die größte, aber auch hässlichste Aussage von Fan-Unterstützung erhielt 'The Rocket', als er am Ende der Saison 1954-55 von der NHL suspendiert wurde. Am 13. Mai 1955 beim Spiel in Boston wurde Richard von Hal Laycoe unsanft attackiert und wollte sich revanchieren, indem er mit dem Stock auf seinen früheren Teamkollegen Laycoe losging. Linienrichter Cliff Thompson hielt Richard zurück und beiden fielen auf das Eis. Richard verpasste daraufhin Thompson zwei Schläge ins Gesicht. Es war das zweite Mal in dieser Saison, dass Richard einen Offiziellen schlug. Der Superstar musste allerdings von den Gegnern mittlerweile auch viel einstecken. Außerdem hatte sich beim Superstar viel Frust angesichts der Durststrecke der Canadiens von 1950-55 angesammelt. In diesem Zeitraum waren die Red Wings das Maß aller Dinge.

Nach einer Anhörung drei Tage später sperrte der damalige Liga Präsident Clarence Campbell Maurice Richard für den Rest der Saison und die anschließenden Playoffs. Nur eines hätte Campbell nicht tun sollen: Am nächsten Abend ließ er es sich nicht nehmen, dem Heimspiel der Canadiens beizuwohnen. Es hagelte Tomaten, Eier, Flaschen und sonstige Gegenstände, als er die Halle betrat. Ein Mann schaffte es vorzudringen und schlug den Präsident mit der Faust ins Gesicht. Doch Campbell wich nicht und die Situation beruhigte sich auch scheinbar. Nach dem ersten Drittel aber wurde unweit von Campbell eine Rauchbombe gezündet und das Forum musste evakuiert werden. Die Krawalle wurden die ganze Nacht auf den Straßen von Montreal fortgesetzt. Chaoten ließen Fensterscheiben zu Bruch gehen, beschädigten Autos, zündeten Feuer an und verursachten Schäden in Höhe von über 100.000 US-Dollar. Mehr als 60 Personen wurden verhaftet.
Als für die kommende Nacht weitere Ausschreitungen zu befürchten waren, ging Maurice Richard in Radio und Fernsehen live auf Sendung, um die Bevölkerung zu bitten, Ruhe zu bewahren. Obwohl die Gewalt damit beendet war, sahen viele Einwohner der französischsprachigen Provinz Quebec Campbells Urteil als Schlag gegen ihre Minderheit im englischsprachigen Kanada an. Ohne Richard verlor Montreal das Stanley Cup Finale gegen Detroit in sieben Spielen. Es war seine letzte Saison, die Richard nicht als Champion abschloss.

Acht Mal gewann Maurice Richard den Stanley Cup

In seinen letzten drei Jahren von 1957 bis 1960 wurde Richard immer häufiger von Verletzungen heimgesucht. Mit 38 Jahren beendete er seine phänomenale aktive Karriere. Zum Ende standen und stehen acht Stanley Cup Siege, 978 Spiele, 544 Saisontore, 421 Vorlagen, 133 Playoff-Spiele, 82 Playofftore, 44 Playoffvorlagen und insgesamt 1.473 Strafminuten in den Statistik Büchern. Bereits nach einem Jahr, lange vor Ablauf der fünfjährigen Wartefrist, wurde 'The Rocket' in die Hockey Hall of Fame aufgenommen. Die Canadiens gaben ihm zunächst einen Job, mit dem er aber aufgrund der geringen Kompetenzen nicht zufrieden war. Nach Differenzen mit den Teameignern, der Molson Familie, nahm er seinen Hut. Die Situation wurmte Richard so, dass er nach eigener Aussage mehrere Jahre darauf verzichtete, sein zuvor geliebtes Molson Bier zu drinken.
Richard Name blieb jedoch in den Headlines. Sei es bei einem kurzen Gastspiel als General Manager der Quebec Nordiques in der WHA oder als Repräsentant der Canadiens in den 90er Jahren. Sein Name verewigt wurde in der NHL durch die Maurice 'Rocket' Richard Trophy, die seit 1999 an den besten Torschützen der regulären Saison verliehen wird. Nicht zuletzt wegen seines zunehmend schlechter werdenden Gesundheitszustandes hatten die Gazetten stets etwas über 'The Rocket' zu berichten. Zunächst litt er unter dem Parkinson Syndrom und schließlich unter fortschreitender Alzheimer. Als noch ein Krebsleiden der Prostata hinzukam, war das 'Spiel' für Richard endgültig verloren. Sein Willen war gebrochen und er starb am 27. Mai 2000 im Alter von 78 Jahren.

In einem Punkt sind sich viele einig und Maurice Richard wird dadurch immer in Erinnerung bleiben. 'Es war vielleicht der beste Spieler, den ich jemals gesehen habe', spricht Hall of Famer Emile Francis vielen Fans aus dem Herzen. (sth)

 

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