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nr. 126 / jan. 2009 

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REPORT
 
Mit Vollgas gegen die Wand? - Die Tampa Bay Lightning in der Krise

von Robin Patzwaldt

Es ist noch keine fünf Jahre her als Dave Andreychuk als damaliger Teamkapitän stolz den Stanley Cup in den Nachthimmel von Tampa reckte. Damals, im Sommer 2004, schien die Zukunft der Franchise aus Tampa Bay rosig zu sein. Aktuell steht man direkt am Abgrund: Erneut weit außerhalb eines Playoffplatzes, riesige Schulden, kein erkennbares Konzept, Zuschauerschwund, eine Mannschaft mit zahlreichen namhaften Neuzugängen aber ohne Identität und Perspektive. Wie konnte das innerhalb so kurzer Zeit geschehen?

Nun, ganz so überraschend kommt der derzeitige Status Quo nicht. Viele Dinge gingen seit dem Lockout in Südflorida schon schief. Der langsam einsetzende Niedergang in der Nach-Lockout-Ära hat sich zuletzt nur arg beschleunigt. Werfen wir daher mal einen Blick hinter die Kulissen des Teams aus Florida und die Entwicklung der letzten fünf Jahre, die in den letzten Monaten zu wüstem Aktionismus geführt hatte:
Der Titelgewinn in 2004 ließ sich durch den folgenden Lockout für die Tampa Bay Lightning nicht direkt vermarkten. Bekanntlich fiel die komplette Spielzeit 2004/2005 dem "Arbeitskampf" zum Opfer. Die nächste Spielzeit startete somit ausnahmsweise volle 16 Monate später.
Teamkapitän Dave Andreychuk bekam das direkt zu spüren. In seinem fortgeschrittenen Alter konnte er die lange Pause und die Regeländerungen in der Nach-Lockout-Phase nicht mehr entsprechend kompensieren und er wurde nach nur wenigen Wochen zum Jahresanfang 2006 von Coach Tortorella aus dem NHL-Team aussortiert. Den Gang ins Farmteam wollte sich der Kapitän verständlicher Weise nicht mehr antun und Andreychuk beendete folgerichtig seine Laufbahn. Star-Goalie Nikolai Khabibulin wechselte nach dem Cuperfolg nach Chicago. Seine Position konnte seither nicht mehr gleichwertig ersetzt werden. Das Team hatte einfach nicht mehr die Qualität der Meistersaison 2004. Es begann bereits hier im Umfeld Unruhe zu geben. Höhepunkt des einsetzenden raschen sportlichen Niedergangs war dann der letzte Tabellenplatz zum Saisonende 2007/2008.

Bill Davidson hatte nun genug und verkaufte das Unternehmen an die beiden Bieter Oren Koules und Len Barrie. Die finanziellen Verluste seiner neunjährigen Regentschaft lagen immerhin bei über 80 Millionen US-Dollar. Nur in einer einzigen Spielzeit, der des Titelgewinns in 2004, konnte der alte Eigentümer mit seiner Franchise einen kleinen Gewinn erwirtschaften.
Die beiden jungen Neueigentümer (39 und 47 Jahre alt) starteten im Sommer 2008 den Totalumbau der Franchise. Präsident Ron Campbell, General Manager Jay Feaster und Cheftrainer John Tortorella wurden allesamt vor die Tür gesetzt. Ebenfalls ein großer Teil der Mannschaft, darunter Neu-All-Star Dan Boyle, der zum Unwillen der Fans von der neuen sportlichen Leitung nach San Jose transferiert wurde.
Innerhalb kurzer Zeit schlossen Koules und Barrie im letzten Sommer neue Spielerverträge für insgesamt stolze 194 Mio. US-Dollar, somit fast noch einmal so viel Geld, wie sie zuvor schon für den Erwerb der Franchise (206 Mio. US-Dollar) ausgegeben hatten. Zeitgleich fiel der Dauerkartenverkauf von zuvor noch gut 13.000 Tickets im Jahre 2007 auf nun nur noch gut 9.000 Stück für die Spielzeit 2008/2009. Der übernommene Schuldenberg der Franchise beträgt zudem noch immer stolze 106 Mio. US-Dollar.

Die Saisonbilanz seit dem Cupgewinn 2004
(eine Bilanz des Niederganges)

Saison Punkte Abschneiden PO

2003-04 106 Punkte Cupgewinner
2005-06 92 Punkte Aus 1. Runde
2006-07 93 Punkte Aus 1. Runde
2007-08 71 Punkte Nicht qualifiziert
2008-09 38 Punkte
(Stand 16.1.09 zur Saisonhälfte)

Die beiden Neubesitzer erhöhten ihr Risiko noch weiter, indem sie mit Barry Melrose einen Trainer verpflichteten, der zuvor 13 Jahre lang nicht mehr als Trainer tätig war, sondern zuletzt für den Sender ESPN als Analyst arbeitete, was direkt bei der Verpflichtung viel Kopfschütteln in der Branche auslöste.
Die neuen Spieler im Kader waren zudem überwiegend relativ alt und erfahren. Gary Roberts(42) und Mark Recchi(40) waren als Stützen für Nummer-1-Draft Steve Stamkos gedacht, der erst 18 Lenze zählt.
Als Vorbild für einen raschen, erfolgreichen Umschwung einer NHL-Franchise, so wie ihn sich die Lightning-Macher erträumten, wurden die Philadelphia Flyers angeführt, die kürzlich ebenfalls weit hinten in der Tabelle abschlossen, und dann innerhalb eines Jahres wieder zum Spitzenteam mutierten. Allerdings muss hier kritisch angemerkt werden, dass die Flyers viele junge Talente in ihren Reihen hatten. Im Kader der Lightning spielt derzeit außer Stamkos nicht ein einziger junger Draftpick der letzten 5 Jahre. Eine Tatsache die letztendlich auch Manager Jay Feaster seinen Job gekostet haben dürfte.

Um dem radikalen Neuanfang des letzten Jahres auch optisch einzuleiten, wurden zudem der Umkleideraum, sowie der Kraftraum des Teams vor dem Beginn der aktuellen Saison komplett überarbeitet und renoviert. Und trotz all dieser Bemühungen wurde das Risiko der neuen Teameigner bisher nicht belohnt. Der Saisonstart der Franchise ging völlig in die Hose. Nicht nur die beiden Saisoneröffnungsspiele der Bolts in Prag gegen die New York Rangers gingen verloren, sondern das Team blieb völlig in den Startlöchern hängen.
Coach Barry Melrose geriet, entgegen der Ankündigungen des Sommers, sehr rasch in Misskredit und wurde nach nur wenigen Wochen bereits wieder entlassen und mit der Übergangslösung Rick Tocchett ersetzt, der zuvor als sein Assistent angeheuert wurde. Unschöner Nebeneffekt war der lautstark geäußerte Unmut des geschassten Coachs, der übel über seinen Kurzzeitarbeitgeber herzog, und auch Topdraft Steve Stamkos hinterher schimpfte, ihm quasi sogar komplett die NHL-Tauglichkeit absprach, was die bereits ausgebrochene Unruhe in Florida weiter vergrößerte.

Spielraum für rasche Veränderungen gibt es inzwischen leider wohl fast keinen mehr. Das Team, durch langfristige teuere Verträge aufgebaut, spielt nach wie vor deutlich unter seinen Erwartungen. Die Playoffs erscheinen zu Beginn des Jahres 2009 erneut außer Reichweite zu sein. Fast jeder mögliche Schachzug wurde bereits versucht, um das Team kurzfristig wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Bisher hat nichts wirklich gegriffen. Die Verantwortlichen erscheinen relativ ratlos und ohne wirkliches Konzept.
Sieht so aus, als würde hier eine vor kurzem noch sehr erfolgreiche NHL-Franchise mit voller Wucht gegen die Wand gefahren....Viel Zeit für die Rettung scheint bei der Finanzlage und dem schwindenden Faninteresse nun auch nicht mehr zu bleiben! (rp)

 

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