NHL-Eishockeymagazin
 berichte - hintergrund

>> Titelseite

>> Berichte
>> aktuell
>> hintergrund

>> Vereine

>> Fanspiele

>> Service

>> Statistik

>> Gerüchte

ANZEIGE

nr. 113 / nov. 2007 

ANZEIGE

REPORT
 
Eine Woche unter Blackhawks

von Robin Patzwaldt

In der Öffentlichkeit wird meist die Spitzengruppe der NHL mit besonderem Interesse beäugt. Kleinere Teams, oder Teams die nicht den großen sportlichen Erfolg haben, werden in der Regel deutlich weniger beachtet, gerade hier von Europa aus. Auch daher hat es mich besonders gereizt im Frühjahr einmal ein Team mit großer Tradition unter die Lupe zu nehmen, welches seit Jahren sportliche Probleme hat und die Playoffs seit Jahren mehr oder weniger regelmäßig verpasst und daher etwas aus dem Focus der aktuellen NHL-Berichterstattung gerutscht ist: die Chicago Blackhawks.

Einmal die Stimmung jenseits der momentan erfolgreichen und hofierten NHL-Teams fühlen und beobachten wie der 'traurige' NHL-Alltag eines Teams vor Ort aussieht wenn die große Begeisterung rund um ein Team einfach derzeit nicht aufkommen mag, und die Fans der Mannschaft nicht mehr all zu sehr gewogen sind. All dies sollte mir in einer 'Woche unter Blackhawks' gelingen.

Drei Heimspiele hatte ich mir dafür ausgesucht. Es bliebe also an den vier spielfreien Tagen auch noch genügend Zeit, neben den Morningskates an den Spieltagen, zusätzlich in Ruhe das 'normale' Training der Hawks im Trainingscenter außerhalb der Stadt zu beobachten oder auch mal abseits des United Centers nach Spuren der Blackhawks in Chicago zu suchen. Und die Begegnungen gegen St. Louis, Colorado und Detroit boten zudem einen netten Querschnitt durch die Gegner. Vom Titelkandidaten aus Detroit, über den Playoffwackelkandidaten aus Denver, bis hin zum ebenfalls in großen sportlichen Problemen steckenden Team aus St.Louis waren somit verschiedene Kaliber an Gegnern vertreten.

Den Auftakt bildete das Heimspiel gegen St. Louis. Wie erwartet präsentierte sich das riesige United Center an diesem Nachmittag nicht einmal halbvoll als die Begegnung fahrt aufnahm. Eine Begegnung auf NHL-Spitzenniveau war natürlich auch nicht zu erwarten. Hinzu kam, dass die Blues natürlich als Divisionsrivalen auch ganze vier mal pro Saison im United Center auftreten. Auffällig war die live gespielte Orgelmusik in der Halle. Dies hatte ich in anderen NHL-Hallen auch schon erlebt. Jedoch verbreitete der Organist der Hawks einen so schwermütigen Sound in der Halle das ich mich fragte ob er sich bereits von der negativen Grundstimmung hatte anstecken lassen, oder ob er diesen Sound wohl auch präsentieren würde wenn die Playoffs noch in Reichweite gewesen wären?
Die Hawks gewannen das Spiel übrigens relativ locker mit 5:1 Toren. Stimmung wollte im halbleeren Rund jedoch trotzdem nicht so recht aufkommen.

Nun gut, dachte ich mir, soweit war alles im Rahmen der Erwartungen. Dem Training am nächsten Morgen sah ich somit relativ optimistisch entgegen. Nach einem Heimsieg wäre die Stimmung bestimmt recht locker und die Spieler offen und umgänglich, erhoffte ich mir.
Und so war es auch. Strahlende Gesichter am Morgen im Trainingscenter bei den Blackhawks. Offensichtlich hatte die Mannschaft, trotz der erneut enttäuschend verlaufenden Spielzeit, noch immer Spaß am Training.
Das öffentlich zugängliche Training wurde höchstens von 20 Zuschauer begleitet. Sicherheitsmaßnahmen konnte ich keine feststellen. Alles verlief locker und unkompliziert. Das hatte ich früher bei anderen Teams auch schon mal anders erlebt. Nach dem Training gaben die Spieler den wenigen Interessenten bereitwillig Autogramme.

Am Abend wollte ich einen Blick in die AHL werfen und besuchte die Chicago Wolves, die eine nahezu ausverkaufte Halle präsentieren konnten. Das Potenzial für Hockey in Chicago ist also offensichtlich noch da, dachte ich mir. Und im Gespräch mit anderen Besuchern der 'Allstate-Arena' nahe des großen O`Hare-Flughafens erfuhr ich auch warum: "Warum soll ich 50 Dollar für die unmotivierten Söldner der Blackhawks ausgeben, wenn ich hier für 20 Dollar ein hoch motiviertes, junges AHL-Team aus Chicago sehen kann?", fragte sich ein offensichtlich abgeschreckter ehemaliger Hawks-Fan. Das leuchtete dann auch mir ein, denn die Leistung der Wolves war wirklich sehr ordentlich und die Stimmung wesentlich besser als noch am Tag zuvor im halb leeren, riesigen United Center.

Am nächsten Tag widmete ich mich dann erneut den so kritisierten 'Söldnern'. Bereits beim Morningskate, dem lockeren Training in der Spielstätte des Abends, konnte man entnehmen, dass der Gegner des heutigen Abends, die Detroit Red Wings, von einem anderen Kaliber sein würden als die zuvor gastierenden Blues. Ernste Mienen auf den Gesichtern der Hawks und relative Lockerheit bei den Wings um ihren Startorwart Dominik Hasek.
Scotty Bowman stattete der Halle schon am Morgen einen Besuch ab und fachsimpelte etwas mit Journalistenkollegen auf der Tribüne. Den Auftritt seiner Wings wollte Bowman wohl nicht versäumen.

Am Abend präsentierte sich dann die Halle abermals höchstens halbvoll, was mich wesentlich mehr überraschte als zwei Tage zuvor, denn schließlich war nun ein echtes Spitzenteam der NHL zu Gast in der 'Windy-City'. Doch mehr Hockeyfans motivierte das offenbar nicht zu einem Ausflug in die NHL. Der abermals deprimierende Orgelsound passte sich der deutlichen Heimpleite der Hawks an und im Schlussdrittel, als die Partie bereits gegen das Heimteam entschieden zu sein schien, hätte man gar eine Stecknadel fallen hören können. Bereits deutlich vor Spielende war die Halle fast leer und die verbliebenen Sympathisanten buhten nach Leibeskräften als das Ergebnis von 1:4 gegen ihr Team dann auch endgültig feststand. "Aucoin you suck!" (Aucoin Du bist S......!)-Rufe hallten durch das Rund.
Der Kapitän der Hawks hatte bei den Fans durch sein ungewöhnlich hohes Gehalt, bei einer gleichzeitig persönlich eher schwachen Saison, einen besonders schweren Stand.

Am nächsten Tag machte ich mich bei einem Stadtbummel auf nach Spuren der Franchise im Stadtbild von Chicago zu suchen. Doch allzu viel sollte ich nicht entdecken können. Lediglich das 'Hawkquarters', der offizielle Fanshop des Teams, viel mir beim stundenlangen Stadtbummel im Schneeregen ins Auge.

Beim Training des Teams hatte die deutliche Heimpleite gegen die Wings allerdings offenbar keine nachhaltige Stimmungsverschlechterung zur Folge. Auch bei der nächsten Trainingseinheit blieb die Stimmung der Protagonisten relativ fröhlich und locker. Offenbar hatte man nach Verpassen der Playoffs den Gang bereits raus genommen. Nicht, dass man bei taktischen Besprechungen mit Trainer Denis Savard nicht konzentriert lauschen oder, dass man nicht vernünftig skaten würde, aber das letzte Feuer, die letzte Konzentration schien mir zu fehlen. Sollte der Wolves-Fan, der die Hawks-Spieler als Söldner beschimpft hatte, am Ende doch die einfache Erklärung der Misere gegeben haben? Oder ist es das gute Recht des Profis auch im Training seinen Spaß zu haben, selbst wenn die Mannschaft weit hinter den Saisonerwartungen bleibt?

Der nächste freie Abend gehörte dem NBA-Team der Bulls. Und siehe da, das United Center kann auch voll sein! Gegen Orlando feierten die Bulls ein ausverkauftes Haus. Und die Halle unterstützte die Bullen bei ihrem Kampf um einen Playoffplatz im Basketball nach Leibeskräften. "Es geht also doch!, dachte ich mir.

Doch auch zum abschließenden Spiel meiner Chicago-Woche sollte die Halle gegen die Colorado Avalanche nicht voll werden. Im Gegenteil. Lediglich 8.000 zahlende Besucher versammelten sich in der für deutsche Verhältnisse geradezu riesigen Eishalle. Und das, obwohl die Avalanche ja nun nicht gerade häufig im United Center Station machen. Und sportlich bot die Partie auch etwas. Für die Avalanche galt es noch wertvolle Punkte für die Playoff-Qualifikation zu sammeln. Dass es trotzdem gerade in diesem Spiel den schwächsten Besuch in Chicago gab verwunderte dann doch sehr. Einmal mehr fand ich den Orgelsound in der Halle symptomatisch für die Stimmung und die sportliche Lage der Blackhawks. Statt Aucoin wurde bei der '1-6 Packung' für die Hausherren diesmal Eigentümer Wirtz von den Fans mit Schmähgesängen verunglimpft.

So stand für mich nach meiner Woche Chicago eigentlich nur eines fest: Es muss sich etwas Grundsätzliches ändern bei der Franchise mit der großen Geschichte. Der derzeitige Zustand ist mehr als unbefriedigend. Für ein Original Six-Team der NHL mit dieser tollen Tradition ist der derzeitige Zustand der Franchise eigentlich überhaupt nicht hinnehmbar. In Chicago nimmt man vom Team kaum noch Notiz, die restlichen verbliebenen Fans sind mit ihrer Geduld am Ende, die Mannschaft schien sich relativ gleichgültig in ihr Schicksal ergeben zu haben. Die Hallenauslastung bei Hawksspielen sinkt seit Jahren kontinuierlich.
Sicherlich ist die Konkurrenz in einer Metropole wie Chicago hart. Jeden Abend kann man im Großraum zwischen mehreren hochkarätigen Sportevents wählen.

Es wird daher höchste Zeit das die Blackhawks einen neuen Häuptling erwählen und sich erneut auf den Kriegspfad in der NHL begeben. Die aufregende Stadt und das große Potenzial in Chicago hätten es verdient! Und wenn ich eines Tages wieder nach Chicago komme, dann wünsche ich mir eine frisch aufblühende Franchise. Der sportliche Abgesang den ich jetzt so gesehen habe möchte ich so dann nicht mehr erleben müssen. (rp)

 

ANZEIGE
 

ANZEIGE


 


(C) eishockey.com, Sports Media & Entertainment GmbH