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nr.86 / mai 2005 

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HISTORIE
 
Eishockey erobert Europa

von Bernd Rösch

Die Blicke der Eishockeywelt richten sich zur Zeit nach Österreich! Findet doch dort vom 30. April bis 15. Mai die IIHF-Eishockeyweltmeisterschaft statt und das in diesem Jahr ohne 'Konkurrenzveranstaltung' - dem Playoffkampf um den Stanley Cup in der National Hockey League - in Nordamerika.

Zahlreiche NHL-Stars und -Talente nutzen den NHL-Lockout um ihre Nation bei einer IIHF-WM zu vertreten. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die beiden nordamerikanischen Vertreter Canada und USA zu den Topfavoriten des jährlich stattfindenden und fast ein halbes Jahrhundert von den Europäern dominierten Turniers zählen.

Nur acht Mal konnte sich das Mutterland des Eishockeys seit 1953 den WM-Titel erkämpfen. Im Vergleich dazu gewann die Sowjetunion/Russland in diesem Zeitraum 24 Mal, Tschechien, ehemals Tschechoslowakei, acht Mal und Schweden sieben Mal. Je einmal zu WM-Ehren kamen die USA in 1960, Finnland in 1995 und die Slowakei vor drei Jahren in 2002.

Doch wie und wann kam die schnellste und faszinierendste Mannschaftssportart über den Atlantik in die 'Alte Welt'?

Während an der King's College School in Windsor, Nova Scotia bereits in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts eines vom irischen Hurling abgeleitetes Spiel mit Schläger und (Holz-) Puck unter den Studenten sehr beliebt war, sollte es gut 50 Jahre dauern, bis auch in Europa das erste Match stattfand.
Studenten von der Oxford und Cambridge Universität traten in 1885 auf dem Eis gegeneinander an. Zehn Jahre danach gab es bereits fünf Eishockeyteams in Schottland sowie England und auch die erste Kunsteisfläche wurde im Jahre 1903 in London eröffnet. So war es aus damaliger Sicht nicht verwunderlich, dass der erste offizielle Europameisterschaftstitel des IIHF, Gründungsländer waren zwei Jahre zuvor Belgien, Frankreich, die Schweiz und Großbritanien gewesen, in 1910 mit den London Princes Club an ein Team von der Insel verliehen wurde. Bei dem 4-Nationen Turnier, die Schweiz, Belgien und Deutschland waren desweiteren vertreten, verwiesen die Briten Deutschland mit einem knappen 1-0 Erfolg auf den Silberrang.

Von der ersten Stunde an mit dabei Eishockey in Europa zu etablieren war der tschechische Eishockeyverband unter Federführung des Journalisten Emil Prochazka und Universitätsprofessor Josef Gruss. Ihr Turnierdebut gab die Tschechei (Böhmen) ein Jahr später, erstmals auf einer überdachten Eisfläche in Berlin. Widriger Verhältnisse zum Trotz, u.a. hatten die Tschechen bereits sechs Stunden nach Ihrer Ankunft in der deutschen Hauptstadt ihr erstes Spiel gegen die Schweiz (13-0) und noch am gleichen Abend gegen die Gastgeber (4-1) zu bestreiten, gewannen sie beide Partien und nach einem weiteren Sieg (3-0) am nächsten Tag gegen Belgien ungefährdet den EM-Titel. Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs dominierten unsere östlichen Nachbarn den Eishockeysport in Europa.

Nach Kriegsende bekamen weitere Nationen Interesse an dem schnellen Sport auf Kufen und die Europa-Rangliste sollte sich schnell ändern.
In Skandinavien, vor allem in Schweden, wurde bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts mit 'Bandy', ein dem Eishockey sehr ähnliches Spiel mit Ball und stark gekrümmten Schläger, bestritten. Nils Molander vom Berliner SC zog aus um für die Olympischen Sommerspiele in Antwerpen 1920 eine schwedische Mannschaft mit Bandy-Spielern zusammen zustellen. Mit Erfolg: Die Schweden mussten sich nur den beiden nordamerikanischen Mannschaften (Canada, USA) geschlagen geben und erreichten überraschend Platz 3. Der Aufstieg der 'Tre Kronors' ging rasch vonstatten. Bereits ein Jahr später gewannen sie in Stockholm mit einem 6-4 gegen Tschechien ihre erste Europameisterschaft, der bis 1932 noch drei folgen sollten.

Auch die Ergebnisse der mitteleuropäischen Mannschaften aus Österreich, der Schweiz und Deutschland konnten sich durchaus sehen lassen. Österreich gewann einmal Gold (1927), zweimal Silber (1925,32) und zweimal Bronze (1926,29). Die Schweiz wurde Erster in 1926 und jeweils Dritter in 1925 und 1932. Die ins Hintertreffen geratenen Deutschen errangen drei Mal Platz Zwei (1910,11,14) und gewannen zweimal Bronze (1913,27).

Ab 1932 wurde keine separate Europameisterschaft vom IIHF mehr ausgetragen. Der Europameistertitel wurde seitdem, bis 1991, an den bestplatzierten europäischen Teilnehmer der Weltmeisterschaften verliehen. Diese Meisterschaften standen bis zu Beginn der 50er Jahre unter der Dominanz der Kanadier, die 15 der ersten 19 Meisterschaften für sich entscheiden konnten.

Dann machte sich die Sowjetunion daran, die Eishockeywelt zu revolutionieren. Ihren ersten WM-Auftritt hatte die Scornaja 1954 bei der WM in Stockholm und sie konnte überraschen: 7-1 gegen Finnland, 7-0 gegen Norwegen, 6-2 gegen Deutschland, 5-2 gegen die Tschechoslowakei und ein achtbares 1-1 Remis gegen die Gastgeber bescherten den Sowjets ein Finalspiel gegen die unbezwingbar scheinenden Kanadier. Die gut 16.000 Zuschauer im Royal Stadium von Stockholm trauten ihren Augen nicht: Nach noch nicht einmal einer Viertelstunde lagen die WM-Debütanten mit 3-0 in Front und bezwangen am Ende die konsternierten Kanadier mit sage und schreibe 7-2. Eine neue europäische Eishockeynation war geboren!

Der eishockeysportliche Aufstieg der Sowjetunion, hauptsächlich das Verdienst von Trainer Arcady Chernyshev (seit 1954) und Anatoli Tarasov (seit 1958), die bis zum Jahre 1972 in Kooperation die Verantwortung hinter der Bande hatten, war nicht mehr zu bremsen. Konnten bis zu Beginn der 60er Jahre zumindest noch die Kanadier Paroli bieten, so waren es in den Jahrzehnten bis zur 'Wende' in 1990 nur noch vier Mal die Tschechen und einmal Schweden, welche der Titelsammelleidenschaft der Russen einen Strich durch die Rechnung machen konnten. Mit harten, teils unmenschlichen Trainingsmethoden, auch bei seinem Heimatclub CSKA Moskau, formte Tarasov eine Mannschaft die Eishockey zelebrieren konnte. Die Erfolgsserie der Sowjets hielt auch unter den Nachfolgern von Tarasov, Vsevelod Bobrov und Viktor Tikhonov, der wie schon zuvor Tarasov mit harter Hand regierte und damit eine eigene Diktatur innerhalb der Sowjetdiktatur aufbaute.

Mit Glasnost und Perestrojka verabschiedete sich die Vorherrschaft der sowjetischen Eishockeynationalmannschaft. Verständlicherweise nutzten die besten Eishockeycracks der ehemaligen Sowjetunion die gewonnene Freiheit um ihrem Sport im Westen nachzugehen und dort gute Dollar zu verdienen. Unter Tikhonov, der noch bis zu den Olympischen Spielen 1994 die Geschicke des Nationalteams leitete, war man nicht mehr bereit, die Schlittschuhe zu schnüren.
Bei den großen Turnieren der letzten 15 Jahre kam die Eishockeynation Russland nur noch auf eine magere Ausbeute von einem dritten (1991) und einem zweiten Platz (2002).

Aus Sicht der europäischen Eishockeyfans wurden die IIHF-Turniere seit den 90er Jahren immer interessanter, da ausgeglichener und dadurch spannender. Gleich sieben Nationen kamen in diesem Zeitraum zu Titelehren. (br)

 

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