NHL-Eishockeymagazin
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nr.72 / feb. 2004 

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INTERVIEW
 
'Änderungen der Regeln bringen unseren Sport nicht weiter'
 
Ken Hitchcock(li.) mit Wayne Gretzky(mi.) und Wayne Fleming(re.) auf einer Pressekonferenz des Team Canadas für den World Cup of Hockey am Rande des All Star Games.

Am Randes des All-Star Games hatte unser Redakteur Stefan Herget Gelegenheit mit dem Trainer der Philadelphia Flyers Ken Hitchcock ein interessantes Gespräch über das All-Star Game, sein Team und dessen Playoffchancen, sowie die Diskussionen um angedachte Regeländerungen zur Erhöhung der Toreanzahl pro Spiel zu führen.

Frage: Wie empfinden Sie die Einrichtung des All-Star Games?

Hitchcock: Nun, ich muss sagen, dass ich es als eine gute Werbung für unseren Sport halte und die Spieler und wir Trainer genießen hier die Atmosphäre alles etwas lockerer angehen zu können. Das gibt Kraft für die kommenden Aufgaben in einer langen Saison.

Frage: Sie sind als Trainer der Eastern Conference nominiert worden und haben die Ehre die Auswahl zahlreicher Stars zu coachen. Wie bringt man die besten Spieler der Liga unter einen Hut?

Hitchcock: In erster Linie ist es natürlich Spaß hier zu spielen und das muss man umsetzen. Das Spiel beginnt in der Regel immer recht locker und je länger es dauert und je wärmer die Spieler werden, desto mehr wird um das nächste Tor und den Sieg gekämpft. Ich meine jetzt nicht den Körperkontakt, sondern keiner verliert gerne. Es kann vorkommen, dass gegen Ende versucht wird noch das ein oder andere Tor zu erzielen, wofür man sich zu Beginn nicht reinhängt. Aber hier sind nur gute Spieler vertreten, die wissen mit ihren Fähigkeiten umzugehen, da brauchen die Trainer wirklich nicht groß einzugreifen.

Frage: Sehen Sie das nicht als Belastung für die Spieler an, dass die Nominierten eine Extrareise auf sich nehmen müssen, während die Anderen ein paar Tage frei haben?

Hitchcock: Ich habe genau das einige Spieler gefragt und sie sagten mir, dass sie immer gerne her kommen, weil hier eine andere Atmosphäre geboten wird als während der Saison. Sie haben die Möglichkeit, ihre Familien hier herzubringen. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es für irgendjemand Streß verursacht oder einen Nachteil bedeutet hier zu sein. Dazu wird in den letzten Jahren alles zu locker gesehen. Nur zum Vergleich: Als ich das erste Mal beim All Star Game war vor sechs oder sieben Jahren, da war das absolut unüblich, aber jetzt sind die Kinder und Familien der Spieler mit in der Umkleide und es geht jederzeit spaßig zu, da kann man unmöglich davon sprechen, dass das hier eine Belastung für einen Spieler ist.

... man kann die Zeit nicht zurückdrehen.

Frage: Was meinen Sie zu den derzeitigen Diskussionen in der NHL über zu wenige Tore und Regeländerungen, die notwenig sind, das zu ändern?

Hitchcock: Ich denke, wir bauen uns da gerade eine große Mauer auf, in dem wir darüber reden, was alles falsch an unserem Spiel ist, anstatt zu fragen, was das Schöne daran ist. Ich glaube nicht, dass die Probleme allzu groß sind. Natürlich wollen wir das Spiel besser machen, aber wenn wir zuviel über die Schwächen reden, dann wird jeder glauben wir spielen ein schlechtes Spiel. Aber das denke ich überhaupt nicht, denn ich meine es gibt nicht viel falsches an unserem Spiel. Seitdem ich in dieser Liga trainiere und das sind jetzt schon einige Jahre, wird immer über Verbesserungen gesprochen, aber man sollte nicht meinen, man kann die Zeit zurückdrehen, als zehn Tore pro Spiel fielen, weil das nicht der aktuellen Realität entspricht. Fast alle Spieler wissen mittlerweile wie man offensiv und defensiv spielt, sind bessere Schlittschuhläufer und bessere Athleten. Dem muss man gerecht werden und es ist nicht die Aufgabe der Regeln, sondern die Aufgabe der Trainer Wege zu finden, dass mehr Tore fallen.

Frage: Trotzdem sieht die NHL in vielen Dingen Handlungsbedarf und Regeländerungen könnten helfen, oder?

Hitchcock: Jeder möchte das Spiel besser machen. Aber was mir daran nicht gefällt ist, dass schon so viel darüber diskutiert wird, dass man meint wir hätten 50.000 Probleme. Ich sage es noch einmal, wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Wir haben einfach ein Stadium erreicht, wo die Torhüter und alle Spieler besser geworden sind. Die Erkenntnisse in vielen Bereichen haben dazu geführt. Dazu kommt, dass die taktischen Ausrichtungen und Schulungen sich bis zur Perfektion entwickelt haben. Aber ich glaube, dass Eishockey nach wie vor ein interessanter Sport ist. Ich weiß zwar nicht, was für Regeln wirklich geändert werden, aber wenn das dazu führt, dass die Intensität einer Partie darunter leidet, dann würde mich das langweilen. Unser Spiel lebt schließlich von Emotionen und Kampf. Je mehr davon in einem Spiel zu finden ist, desto besser ist es. Ich bin für alles, was diese Elemente fördert, wie zum Beispiel Verkürzung der Saison, um den Spielern mehr Ausdauer und Kraft zu verleihen oder Erhöhung der Anzahl der Derbys, Rivalitätsduelle oder Klassiker, die immer voll davon sind. Wir liegen falsch, wenn wir glauben ständige Änderungen der Regeln bringt unseren Sport weiter. Es wäre ein großer Fehler weiter danach zu handeln.

Frage: Aber die Zuschauer wollen Tore sehen und die werden immer weniger ...

Hitchcock: ... wir müssen damit leben, denn je mehr die Spieler ausgebildet werden, desto besser spielen sie und in der Defensive reagieren ist immer noch leichter als in der Offensive zu agieren. Früher kamen Spieler mit 27 Jahren noch in die NHL. Letztes Jahr hatten wir eine Menge Spieler im Trainingscamp mit 17 oder 18 Jahren. Vor Jahren undenkbar, da musste jemand schon ein großes Talent sein, um so früh dabei zu sein. Und je früher man beginnt desto entwicklungsfähiger ist man. Ich konnte zum Beispiel kaum glauben, wie gut die schon begriffen, was man ihnen erzählte. Die sind heute alle schon so gut trainiert, denen musst du nur einmal sagen, was sie zu tun haben und es klappt. Diese Erfahrung war für mich bei Trainingsspielen im Trainingscamp fazinierend. Oder die Torhüter, die jetzt mit 18 oder 20 Jahren zum Camp kommen, die werden seit 10 Jahren professionell trainiert. Dann braucht man sich aber auf der anderen Seite nicht wundern, wenn es schwerer wird Tore zu erzielen.

Frage: Sie haben die Torhüter angesprochen. Nehmen wir einen Martin Brodeur, der in manchen Spielen schier unüberwindbar scheint ...

Hitchcock: Das trägt natürlich seinen Teil dazu bei. Ich weiß nicht, wie sich ein Brodeur noch weiterentwickeln will, denn er spielt schon auf einem sehr hohen Niveau. Will man einen Torhüter schlagen, muss man nach Löchern suchen, die er gelassen hat, aber bei ihm gibt es wahrlich nicht viele. Er spielt nahezu perfekt und da wird es für den Gegner schwierig ihn zu bezwingen. Mit seinen unglaublichen Saves kann er jeden zur Verzweiflung bringen. Und das ist es, was die Leute auch nicht verstehen: Die Schlussmänner heutzutage sind wesentlich wendiger und schneller geworden, so dass sie sehr schwer zu schlagen sind.

Frage: Wenn wir schon beim Thema sind: Was sagen Sie zur Entwicklung von Marty Turco, nachdem Sie seine Fortschritte als ehemaliger Trainer der Stars mit beobachten konnten?

Hitchcock: Das ist richtig, ich konnte seine Entwicklung gut verfolgen und er ist sehr athletisch geworden und kann deshalb in dieser Liga mehr als mithalten. Er war schon immer jemand, der sehr ehrgeizig war und das ist eine wichtige Voraussetzung, um seine Schwächen auszumerzen. Das hat Marty Turco. Ich habe ihn letzthin in ihrem Heimspiel gegen St. Louis gesehen und ich muss sagen, das war die beste Vorstellung eines Torhüters, die ich in dieser Saison gesehen habe.

Frage: Es wird viel über seinen Stil spekuliert, der sich von anderen abhebt. Haben Sie einen Ansatzpunkt hierfür?

Hitchcock: Es ist nicht entscheidend, welchen Stil ein Goalie spielt, ob Butterfly oder einen ganz neuen. Das ist mir ziemlich egal. Ein Trainer beurteilt einen Torhüter besonders danach, wie willensstark er ist, nie aufzugeben und den entscheidenden Schuss in einer unmöglichen Position noch abzuwehren. Das ist es, was einen Dominik Hasek oder einen Martin Brodeur auszeichnen. Und Turco gehört sicher auch dazu, der diese Qualität besonders besitzt.

Frage: Es wird eine lange Saison gespielt. In den Playoffs ist dann alles vergessen und geht es von Null wieder los. Wie wichtig sehen Sie die Platzierung für die Ausgangsposition in den Playoffs?
... der Heimvorteil ist wichtig.

Hitchcock: Sehr wichtig. Es geht nicht um den Gegner, den man als Erster oder Zweiter bekommt, sondern es geht einfach um den Heimvorteil. Gerade im Osten sehe ich den Heimvorteil als sehr wichtig an, denn es sind einige Teams dabei, gegen die wir in der Vergangenheit schlecht ausgesehen haben und dann sollten wir wenigstens den kleinen Vorteil des heimischen Eises haben. Das war es zum Beispiel, was uns letztes Jahr zum Verhängnis wurde, denn es ist in dieser Liga unheimlich schwierig zweimal hintereinander eine Serie auswärts zu beginnen und siegreich zu gestalten. Das wollen wir jetzt ändern und jeder weiß, wie wichtig der erste Platz ist, darum wird auch so intensiv darum gekämpft.

Frage: Es wird in diesem Jahr als eine letzte Chance der Flyers angesehen mit diesem Team den Cup zu gewinnen, weil es doch zu den Älteren der Liga zählt und für dieses Ziel zusammengestellt wurde. Wie sehen Sie das?

Hitchcock: Nein, das glaube ich nicht, dass wir eine Mannschaft nur für dieses Jahr haben. Wir haben ein paar ältere Spieler, die schon viel in ihrer Karriere erreicht haben, wie Mark Recchi und John LeClair. Aber da ist auch viel Talent für die Zukunft mit Michal Handzus, sowie Kim Johnsson und Keith Primeau oder Sami Kapanen sind auch noch nicht so alt. An Simon Gagne werden wir auch noch lange unsere Freude haben. Wir sind also kein altes Team. Unsere Älteren würde ich als erfahrene und namhafte Spieler bezeichnen, die derzeit gewohnt gute Leistungen bringen. Es ist für uns also kein Alles oder Nichts Jahr.

Frage: Wie sehen Sie die Rolle von Keith Primeau in ihrem Team als Kapitän und der Stellung zu Ihnen als Trainer?

Hitchcock: Nun, ich muss zugeben, dass es da einige Anfangsschwierigkeiten gab. Zwischen Trainer und Kapitän muss sich ein Vertrauensverhältnis entwickeln und das war zu Beginn nicht da. Es hat einige Zeit gedauert bis sich das zwischen uns entwickelt hat. Ich habe ihn mehr und mehr Verantwortung übertragen, weil ich der Meinung war, er benötigte eine größere Herausforderung. Er war auf der Eisfläche eine echte Stütze unseres Spieles und er genoss es jeden Abend gegen die Besten anzutreten, aber ich war überzeugt, dass das nicht genug war und übertrug ihm das Amt. Jetzt hat er einen Stellenwert bei den Flyers wie Guy Carbonneau als ich in Dallas war. Die Beziehung eines Trainers zu seinem Kapitän im Eishockey ist zu vergleichen mit der zum Quarterback im Football. Er ist der Draht zum Team und sagt dir Dinge, die vorsich gehen und du musst offen über Dinge sprechen, die dich beschäftigen. Da muss einfach Vertrauen da sein, dann hast du auch Erfolg. Und an diesem Punkt sind wir beide angelangt. (sth)

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