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nr.65 / jun. 2003 

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INTERVIEW
 
"Ersatzmann zu sein, habe ich schon immer gehasst"
 
Martin Gerber

Er ist die Nummer 2 hinter Jean-Sebastien Giguere und steht in seiner ersten NHL-Saison mit den Mighty Ducks of Anaheim bereits im Stanley Cup Finale. Redakteur Stefan Herget hatte anlässlich des Endspieles die Möglichkeit mit dem 29-jährigen Schweizer Martin Gerber ein Gespräch über seine Erfahrungen, Perspektiven und Ziele zu führen.

Eishockey.com: Deine erste NHL-Saison ist fast vorbei. Wie fällt dein Fazit aus?

Gerber: Es war eine ziemlich anstrengende Saison und es ist sie immer noch. Es ist eine große Umstellung von der europäischen Eisfläche zur NHL Eisfläche, die andere Maße hat. Auch die Spielart ist anders. Es hat fünf bis sechs Wochen gedauert, da etwas reinzukommen und dann hat es auch Spaß gemacht.

Eishockey.com: Du hast die kleinere Eisfläche schon angesprochen. Aber auch der Reisestreß ist wohl ein großer Faktor?

Gerber: Ja, der Reisestreß ist ein Teil der Arbeit hier. Es sind 41 Auswärtsspiele, das heißt hin und her zu fliegen, den Ort zu wechseln. Dazu kommt die Zeitverschiebung. Das ist schon ziemlich hart.

Eishockey.com: Und die Umstellungen im Umfeld. Die Mentalität und Lebensart hier in den USA ist sehr unterschiedlich. Wie kommst du damit zurecht?

Gerber: Es ist alles eine Gewöhnungssache. Man darf nicht hierher kommen und denken man wird heimisch. Wenn man das macht, dann hat man schon etwas Probleme. Man muss sich das Gute herausnehmen und lernen sich anzupassen, dann kommt man schneller zurecht. Es ist aber von Leuten her schon ein großer Unterschied. Für die Amerikaner gibt es die USA und das ist die Welt für sie. Von Europa bekommen die in der Regel nichts mit. Vielleicht noch an der Ostküste etwas, aber an der Westküste eher weniger ...

Eishockey.com: ... die wissen dann oft auch nicht, wo die Schweiz liegt.

Gerber: (lacht) Da hast du wohl recht. Aber bei uns kennen viele die einzelnen Staaten von Amerika auch nicht, obwohl die größer sind als mancher Staat in Europa.

Eishockey.com: Dann sind da die Unterschiede bei den Fans. Wie kannst du dich damit anfreunden, dass der Eishockeysport hier doch mehr der Unterhaltung dient?

Gerber: Du hast recht, es dient hier mehr dem Konsum. In Europa ähnelt es doch sehr stark den Fußballfans. In der NHL ist der Videowürfel eines der Hauptattraktionen. Da wird hingeschaut und was dort steht wird gemacht: Geklatscht oder geschrien. Das ist schon etwas komisch. Aber die Stimmung ist gut und das ist hier nun einmal so.

Eishockey.com: Du wurdest 2001 im ungewöhnlich hohen Alter von 27 Jahren von den Ducks gedraftet. Wie kam es dazu, dass du so spät entdeckt wurdest?

Gerber: Ich war vorher sicherlich nicht bereit gedraftet zu werden oder ein Thema zu sein für das Ausland. Ich hatte ziemlich spät angefangen mit 12 Jahren. Da habe ich schon ein paar Jahre gebraucht, um die verlorene Zeit aufzuholen, denn wenn man nicht schon als Kind in den obersten Juniorenligen spielt, hat man nun einmal ein gewisses Defizit. Da bin ich den Weg von den unteren Ligen Schritt für Schritt nach oben gegangen. Ich war eigentlich erst in den letzten beiden Jahren in der Schweiz auch international ein Thema, denn dann kam die WM 2001 in Deutschland, die für mich sehr gut gelaufen ist.

Eishockey.com: Und dann warst du ein Jahr in Schweden. War das der entscheidende Schritt Richtung NHL und Anaheim?

Gerber: Ja, auf jeden Fall. Schon bei der WM haben die Scouts gewusst, dass ich nach Schweden gehe und haben mich beobachtet. Wie ich später erfahren habe, war das ein wichtiger Punkt für sie. Wenn ich in der Schweiz geblieben wäre, hätte ich den Draft wohl schwieriger erreichen können...

Karrierestatistik
 Saison    Team            SP  SO  GAA    %

 2000-01 Langnau SC    CH  44  3   2.56 
 2001-02 Farjestads BK SWE 50  4   1.96  92,2
 2002-03 Cincinnati    AHL  1  0   2.00  95,1
 2002-03 Anaheim       NHL 22  1   1.95  92,9

Eishockey.com: ... es sind auch mehr Scouts in Schweden unterwegs.

Gerber: Erstens das und es wird besser gespielt. Schweden genießt zurecht einen besseren Ruf als die Schweiz. Außerdem können sie schon einmal beobachten, wie sich das auf die Leistung auswirkt, wenn jemand von zu Hause weg ist, was für viele nicht unbedingt einfach ist. Ich denke, das ist mir sehr gut gelungen und das war im Ganzen ein entscheidender Faktor.

Eishockey.com: Du hast dich diese Saison mit guten Leistungen als Nummer 2 in Anheim etabliert. Wie sehen nun deine Persektiven, mit dem großen Ziel Nummer 1 zu werden aus? Du hast mit Jean-Sebastien Giguere immerhin einen jungen und erfolgreichen Mann vor dir.

Gerber: Es ist schwer zu sagen. Ich habe gerade das erste Jahr hinter mir, das wohl als Lehrjahr gilt. Manche brauchen ein Jahr, zwei Jahre oder auch fünf Jahre bis ganz nach oben. Man kann nichts forcieren. Giguere spielt unheimlich gut und so lange er diese Form hält ist es für mich schwer, daran etwas zu ändern. Man weiß aber auch nie was passiert. Ob jemand getradet wird, ein Formtief bekommt oder Verletzungen hinzukommen, was ich alles nicht hoffe. Aber ich versuche mein Bestes Tag für Tag und will schon weiterkommen. Ich bin mit der Nummer 2 nicht zufrieden.

Eishockey.com: Es ist doch ein undankbarer Job. Draußen zu sitzen und plötzlich bereit zu sein, seine Leistung abzurufen, wenn man eingewechselt wird.

Gerber: (lacht) Es war schon immer das, was ich am meisten gehasst habe. Aber man gewöhnt sich daran. Es ist ein Teil des Sports. Egal, welches Spiel, du sitzt ewig draußen und musst vielleicht von einer Minute auf die andere bereit sein. Es wird schwieriger je später du reinkommst und je länger das Aufwärmen her ist. Aber wenn du die Chance kriegst zu spielen, fühlst du dich so gut und denkst gar nicht daran.

Eishockey.com: Deinen Worten entnehme ich aber, dass du dich in Anaheim sehr wohlfühlst.

Gerber: Ich bin gerne hier, möchte aber sicher mehr spielen. Sportlich gesehen läuft es derzeit natürlich hervorragend. Aber ich muss den Offiziellen zeigen, dass ich bereit bin mehr zu spielen. Aber vom Ort und vom Wetter her, ist es hier bestens.

Eishockey.com: Man kann es sich in der NHL zwar kaum aussuchen, doch was wären Stationen, die du dir gut vorstellen könntest, dort zu spielen?

Gerber: Es ist schwierig zu sagen. Das hier gehört zu meinen Favoriten, aber auch Vancouver wäre von der Stadt sehr schön. Es kommt mit dem Gebirge im Umland der Schweiz doch sehr nahe. Aber es gibt verschiedene Clubs. Toronto oder Montreal ist sicher das Beste, was man im Eishockey erreichen kann, wenn man die Spieler so hört. Manhattan mit den Rangers wäre aber durchaus auch nicht zu verachten.

Eishockey.com: Dein Landsmann David Aebischer hat nach dem Rücktritt von Patrick Roy die Chance Nummer 1 in Colorado zu werden. Wie siehst du die Entwicklung dort?

Gerber: Ich glaube sicher, dass seine Zeit gekommen und er reif ist für diese Herausforderung. Auf der anderen Seite wird er unheimlich viel Druck haben. Aber ich würde es ihn überaus gönnen, denn er hat sehr hart dafür gearbeitet. Er hat sich nun schon fünf Jahre in den USA durchgebissen, darum hat er in Colorado diese Chance verdient und ich finde es nur gerecht, dass sie ihm diese Chance bieten.

Eishockey.com: Wie siehst du die Entwicklung des schweizer Eishockeys im Allgemeinen. Außer dir und Aebischer hat sich keiner in der NHL durchgesetzt. Woran liegt das, denn an Talenten fehlt es wohl nicht?

Gerber: Es ist schwierig zu sagen, warum das so ist. Ich weiß es letztendlich auch nicht. Wir haben sicher nicht so viele Spieler in anderen Ländern. Vielleicht liegt es daran, dass wenn sie sich in der Schweizer Nationalliga A etabliert haben, den nächsten Schritt einfach nicht wagen. Doch ich sage, es wäre unheimlich wertvoll für einen jungen Spieler Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Es muss nicht in Übersee sein, denn ich glaube es bringt nicht viel hier in die Minors zu gehen. Aber in der Tschechei, Finnland oder Schweden einmal ein Jahr zu spielen, sich dort durchzubeißen und eine neue Kultur, neue Spieler, sowie eine andere Spielweise kennenzulernen, ist für die Weiterentwicklung doch sehr wichtig.

Eishockey.com: ...ist es eine gewisse Bequemlichkeit der Spieler?

Gerber: Es ist schön und einfachere Weg in der Schweiz zu spielen. Ich kann das schon nachvollziehen, aber deswegen haben wir in diesem Bereich sicher Mängel. Aber es sind schon Talente, vor allem Torhüter da, die in den nächsten Jahren nachkommen werden. Mit Mansado ist einer schon da. Deswegen sollte es für die Zukunft gut aussehen.

Eishockey.com: Du trägst die 29 bei den Ducks. Hat diese Rückennummer eine Bedeutung für dich?

Gerber: Nein, ich wollte eigentlich die 26, aber die trägt der kleine Schwede namens Pahlson bei uns. So bin ich auf die 29 gekommen, aber Bedeutung hat das keine.

Eishockey.com: Ich konnte beobachten, wie du mit Mannschaftskollegen vor den Partien Fußball spielst. Verfolgt ihr einen bestimmten Zweck damit?

Gerber: Wir haben aus einem Blödsinn heraus damit angefangen und nutzen das jetzt zum Aufwärmen. Es hat einen großen Spaßfaktor. Wir haben mittlerweile bestimmte Regeln und Spielweisen. Es ist ziemlich lustig manchmal.

Eishockey.com: ... dient das auch der Ablenkung, um locker zu werden vor dem Spiel.

Gerber: Natürlich, man wird dabei warm und denkt an etwas anderes. Es hat einen guten Effekt, deswegen kommen auch immer mehr Spieler dazu. Sogar Kanadier haben sich schon angeschlossen.

Martin Gerber (Mitte) mit 'seinen' Fans aus der Schweiz.

Eishockey.com: Du hast Schweizer Fans hier zum Cupfinale. Wie empfindest du es, dass Leute diese weite Reise auf sich nehmen ohne überhaupt zu wissen, dass sie dich spielen sehen?

Gerber: Ich finde es unheimlich toll, wenn es solche Leute gibt, die so fasziniert sind vom Eishockey, sei es von meiner Person oder nur von der Sportart. Es ist ein sehr gutes Gefühl für mich zu wissen, dass zu Hause das Interesse an meiner Person da ist und es richtige Fans von mir gibt.

Eishockey.com: Eine abschließende Frage: Was würdest du mit dem Cup tun, wenn du ihn einen Tag mit nach Hause bekommen würdest?

Gerber: (zögert und lacht) Das möchte ich dir lieber nicht sagen. Mal sehen, was mir dann in den Sinn kommt.

Eishockey.com: Martin, vielen Dank für dieses sympathische Gespräch.

Gerber: Es war mir ein Vergnügen.

(sth)

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