NHL-Eishockeymagazin
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nr.60 / jan. 2003 

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Fan-Portrait
 
Wild-Fan der ersten Stunde
Ein Besuch bei Harry Hertel

von Stefan Herget

Minnesota-Fan Harry Hertel
Eine ungewöhnliche Email erreichte mich im letzten Sommer am 24. August: "Ich heiße Harry Hertel und wohne in Eau Claire, Wisconsin, USA. Ich habe heute eishockey.com gefunden und Ihren Bericht von Ihrer Reise zu den Stanley Cup Finals gelesen. Es war sehr interessant, Ihre deutsche Perspektive kennenzulernen", konnte ich dort vernehmen. Es ist immer wieder schön festzustellen, wen man alles mit seinen Berichten erreicht, dachte ich mir kurz und las weiter: "Wenn Sie wieder nach Amerika fahren, lassen Sie es mich wissen, wenn Sie in der Nähe von Minneapolis sind. Ich würde mich freuen, die Gelegenheit zu haben, Ihnen mein Home Team zu zeigen."
Warum nicht Minnesota? Dies ist einige meiner wenigen weißen Landstriche auf der NHL-Karte und im November sollte sowieso eine Reise nach Übersee gestartet werden. Schließlich macht mich der Absender noch interessierter: "Obwohl die Wild nur eine Expansion-Mannschaft sind, macht es immer Spass, das Xcel Energy Center zu besuchen" und toppt das Ganze noch mit dem Satz: "Es gibt keinen besseren Platz Eishockey anzuschauen."
Neugierig, was mich wohl erwarten würde, wurde für den 16. November das Heimspiel der Wild gegen die Washington Capitals ausgewählt. "Das passt gut. Eigentlich wollte ich an diesem Tag nach Toronto zu einer Playercard Tauschbörse fahren, aber das ist für meinen Geldbeutel besser, wenn ich es nicht tue", antwortet der leidenschaftliche Kartensammler Harry auch sichtlich erleichert, dass er seiner Frau nun nicht erklären müsse, dass er über 1000 Kilometer einfach wegen eines Hobbys zurücklegen will.

Ein Nummerschild, mit dem man aufällt.
Ein erlebnisreicher Tag sollte mich und meinen Begleiter Robin Patzwaldt erwarten, als wir am 16. November früh um 9 Uhr Ortszeit Harry das erste Mal im Hotel trafen. Sein rotes Auto war bestens erkenntlich durch die Aufschrift 'WILDFAN' auf seinem Nummerschild. "Man kann sich sein Nummernschild hier aussuchen, doch man muss immer begründen, warum man diesen oder jenen Schriftzug haben will. Da habe ich geschrieben, weil ich ein Jahreskartenbesitzer bin und sie haben es akzeptiert", erklärt Harry sichtlich erfreut, dass er sich diesen exquisiten Schriftzug sichern konnte.
Harry Hertel der sich nebenbei auch noch für Football der Green Bay Packers interessiert, lebte von klein auf mit seiner Familie in Wisconsin (südlicher Bundesstaat von Minnesota), ist heute Teilhaber einer Rechtsanwaltskanzlei, verheiratet und hat drei Töchter, sowie einen Sohn. 1966 kam er das erste Mal zum Schüleraustausch nach Deutschland. Damals war er zunächst einen Monat in Kierspe, NRW und anschließend weitere vier Wochen in Weißenstadt im Fichtelgebirge jeweils bei einer Familie untergebracht. Sein zweiter Aufenthalt war 1970 an der Freien Universität Berlin, um sein Jurastudium auch im Ausland zu vertiefen. 1977 kam er noch einmal privat zu Besuch über den Atlantik. Sein gutes Deutsch hat er von seinen Großeltern - seinerzeit Auswanderer - gelernt, die ihm außerdem den sehr deutschstämmigen Nachnamen verliehen haben. Seine Liebe zum Eishockey hat er während seines Studiums in Madison, Wisconsin, entdeckt. Die dortige Universitätsmannschaft wurde in 20 Jahren vier Mal Meister und hat Spieler wie Chris Chelios, Curtis Joseph, Mike Richter oder Scott Mellanby hervorgebracht.

Jetzt wohnt Harry in Eau Claire, das liegt ca. 130 Kilometer von St. Paul der Spielstätte der Wild entfernt und trotzdem nimmt er eineinhalb Stunden Fahrzeit einfach auf sich, um ungefähr 30 Saisonspiele pro Jahr zu sehen. Dieses Mal wollte er die NHL nicht verpassen, hatte sich Harry geschworen, nachdem er zu der Zeiten der Minnesota North Stars, die 1967 in die NHL kamen und 1993 nach Dallas weiterzogen, nur einmal live im Stadion war. So buchte er bereits drei Jahre(!) vor dem Start der Wild seine Saisonkarte. "100 Dollar Anzahlung mussten wir dafür leisten", erinnert er sich noch heute. Ein Jahr später wurden dann allen Angemeldeten der Sitzplan zugeschickt und jeder durfte sich einen Sitzplatz raussuchen. "Ich sitze in der zweiten Reihe Oberrang direkt über der Mittellinie", erzählt er uns und begründet seine für amerikanische Verhältnisse untypische Entscheidung für das 'Upper Deck' sogleich damit, dass er viel lieber die taktische Aufteilung der Mannschaften sieht, als direkt hinter der Scheibe zu sitzen, wo der Überblick fehlt.
Besonders begeistert war Harry von den tollen Logo und dem Trikot, das die Wild schließlich veröffentlichten. "Zuerst waren einige davon nicht so begeistert, aber jetzt gibt es fast nur noch positive Stimmen darüber." Eine Tatsache, welche die Merchandiseartikel des Team laut einer offiziellen Statistik der NHL zu den begehrtesten innerhalb der NHL macht.

In Minnesota für die Fans reserviert: Die Nummer 1.
Harry lobt des weiteren die Organisation der Wild: "Sie pflegen die Beziehung zu ihren Fans wie kein anderes Team in der NHL." Vor der Saison werden alle Jahreskarteninhaber von General Manager Doug Risebrough immer zu einem Abendessen eingeladen. "Dort bekommen alle einen Media Guide überreicht und es werden jede Menge Informationen, zum Beispiel über die gedrafteten Spieler gegeben." Im Xcel Energy Center in St. Paul (im Volksmund nur 'X' genannt) wurde in der Eröffnungssaison 2000-01 ein neuer NHL-Zuschauerrekord für das erste Jahr eines Expansion Teams aufgestellt. Das Management hat darauf reagiert und bislang einzigartig in der gesamten Liga die Nummer 1 für seine Fans zur Ruhe gesetzt. "Weil die Wild Fans die Nummer 1 sind, hängt seitdem ein Banner unter dem Dach des X mit der Aufschrift '1 Wild Fans'", freut sich Harry sichtlich über diese Geste der Teamleitung und zeigt uns seine Jahreskarte, die kein elektronische Chip- oder Lochkarte ist, sondern ein Block mit allen vorgedruckten Eintrittskarten für die komplette Spielzeit zum Herausreißen.

Wie sieht das Verhätnis zu den Dallas Stars aus, die 1993 aus den North Stars hervorgegangen waren, frage ich. "Die Stars sind nicht sehr beliebt", wendet Harry sofort ein. "Mike Modano behauptete vor seinem ersten Auftritt hier, dass die Minnesota Fans nicht so gut wären und sie die North Stars nicht richtig unterstützt hätten." Das führte dazu, dass die Nummer 9 der Dallas Stars bei jedem Puckkontakt ausgebuht wurde. "Die Wild haben die Partie 6-0 gewonnen. Das war ein Fest", und er grinst, als ob ihm jemand gerade ein Tausend Dollar geschenkt hätte. "Im X haben sie Erinnerungsstücke von diesem Spiel an die Wand gehängt." Fakten, die er uns abends in der Arena eindrucksvoll unter Beweis stellt. In einem Glasrahmen hängen das Trikot von Torhüter Manny Fernandez, seine Torhüterkelle und der Puck aus diesem Spiel. Relikte für die Ewigkeit.
Das 'X' - Heimstätte der Wild.
"Fans ziehen im Gedanken mit ihren Mannschaften häufig um, wenn sie wechseln, doch hier ist das etwas ganz anderes", klärt uns Harry auf. Die North Stars waren sehr angesehen und Keiner konnte nachvollziehen, warum das Team weg musste. So entwickelte sich nicht gerade Sympathie für die Dallas Stars. "Ich war wie gesagt nur einmal bei den North Stars und habe etwas Abstand dazu, doch die Begegnungen gegeneinander sind schon etwas besonderes", führt Harry auf die Frage, wie er dazu steht aus. Gründe für sein Fernbleiben damals sieht er in der Erziehung seiner damals kleinen Kinder, nicht neben der Arbeit noch Abends zum Eishockey zu gehen und sein damals vorherrschendes Interesse für die Universitätsmannschaft aus Wisconsin. "Das eine Mal war aber ein unvergessliches Erlebnis", schiebt er gleich hinterher. "Ich hatte Karten gegen die Los Angeles Kings und wollte unbedingt Gretzky sehen. Ich war in Wisconsin zu einer Berufungsverhandlung und es dauerte ewig. Etwa eine Stunde vor Spielbeginn fuhr ich los und hatte über zweieinhalb Stunden Fahrzeit vor mir. So bin ich mehr als zulässig gerast. Das Spiel begann ohne mich und nirgends konnte ich eine Radioübertragung empfangen. Als ich schon in der Nähe war, sagten sie im Radio, dass die zweite Periode vorüber ist und die North Stars führen, doch leider spielt Wayne Gretzky heute nicht. Na ja, ich habe dann noch das dritte Dritel gesehen. Das hat sich gelohnt", meint er leicht sarkastisch, lacht aber heute darüber.

Stolz ist Harry über die Tatsache, dass er in seiner eigenen Familie mittlerweile Unterstützung für seine Begeisterung für das Eishockey gefunden hat. Seine Tochter hat erst mit der Beziehung zu ihrem Freund ihre Liebe zum Eishockey entdeckt. "Als ob sie eine andere Tochter wäre", freut er sich darüber, dass sie ihn zu Spielen der Wild häufiger begleitet. Auch sein Enkel ist bereits in jungen Jahren der Stolz seines Großvaters und Harry erzählt wieder eine nette Geschichte: "Meine Tochter arbeitet in einem Reptilien Geschäft und hat eine kranke Schildkröte mit nach Hause genommen und gesund gepflegt." An seinem 4. Geburtstag durfte der Enkel dem Tier einen Namen geben und er sagte, sie solle Evgeni Nabokov heißen. "Das ist ein guter Enkel", befürwortet Harry diese Entscheidung, wenn gleich der Enkel mit Nabokov einen Spieler der San Jose Sharks gewählt hatte.

Harry auf der Pressetribüne.
Der Tag verging wie im Flug, denn neben der Sightseeing Tour durch die Twin Cities Minneapolis und St. Paul wurde einige Sportgeschäfte, Sportkarten Shops und Kneipen unsicher gemacht bzw. von uns bereichert. Mit einer Führung durch das State Capitol von Minnesota und den Dom von St. Paul näherten wir uns dem Höhepunkt des Tages, der Partie Minnesota Wild gegen die Washington Capitals. Zunächst 'mussten' wir noch einen Drink in 'Tom Reid's Hockeytown' unweit des Xcel Energy Centers einnehmen. Reid war ein Aktiver der North Stars und kommentiert nun Spiele für das Fernsehen. Ab und zu kommen auch Spieler in die Pub, die sich je näher das Spiel rückt zunehmend mit Wild Fans füllt. Wir begeben uns früh Richtung Stadion, um unsere Medien Akkreditierung abzuholen. Harry hilft gelegentlich beim einem lokalen Radiosender aus und sammelt nach den Begegnungen Stimmen der Akteure, so dass er uns in den Pressebereich begleitet.
Die Arena macht einen sehr guten Eindruck und ist bunt geschmückt mit den Fahnen aller NHL-Teams. Die grünen Sitze verleihen dem Ganzen ein besonderes Ambiente. Die Stimmung der Fans ist für die Verhältnisse der NHL als gehoben zu bezeichnen und alle beteiligen sich beim Klatschen und an sonstigen Animationen. "Schade, dass ihr kein Universitätsspiel sehen konntet", bemerkt Harry. "Denn dort gehen die Leute noch mehr mit." Der Orgelspieler sitzt unweit des Publikums an seinem Instrument, das in der Form einer Eismaschine gestaltet ist. Das schafft Nähe zwischen 'Einpeitscher' und Ausführenden.
Mit den neuen Netzen, die seit diesem Jahr aus Sicherheitsgründen hinter den Toren befestigt wurden, können sich die Wild Fans indes noch nicht anfreunden. Bei jedem Schuss, der in den Maschen und nicht im Publikum landet, geht ein deutliches Buh durch das weite Rund.

Harry Hertel(li.) und Stefan Herget interviewen Olaf Kölzig.
Nach dem Spiel, das die Wild mit 1-0 für sich entscheiden konnten, begaben wir uns in die Kabine der Capitals auf Stimmenfang. Während Jaromir Jagr nur sehr gelangweilt, die Fragen der sich um ihn scharenden Journalisten beantwortete, stand Torhüter Olaf Kölzig alleine in einer Ecke und entledigte sich gerade seiner Ausrüstung. Harry und ich nutzten die Gelegenheit, um ihn ein paar Fragen zu stellen. "Sie sind ein sehr schnelles Team und die Regeländerungen haben ihnen geholfen sie mehr auszuspielen", bemerkte Kölzig auf Harrys Frage nach seiner Ansicht über die Wild. " Mit Milan Gaborik und Andrew Brunette verfügen sie außerdem über zwei starke Spieler, die immer den Weg zum Tor suchen." Der deutsche Nationaltorwart erwies sich trotz der Tatsache, dass er am Siegtreffer nicht ganz unschuldig war, als sehr geduldig und sympathisch. Auf meine Frage wie er die Erfolgen der deutschen NHL-Spielern beurteile fügte er an: "Es begann mit Uwe Krupp vor ein paar Jahren und jetzt entwickelt sich Marco Sturm immer besser in San Jose. Auch Jochen Hecht spielt gut in Buffalo und nicht zu vergessen Dennis Seidenberg, der sich in Philly durchgesetzt hat. Das ist alles sehr gut für das deutsche Eishockey und es zeigt, dass dort wieder Talente heranwachsen."

Ein besonderer Tag in Twin Cities fand einen würdigen Abschluss. Mir bleibt an dieser Stelle nur mich bei Harry zu bedanken, dass er sich die Zeit genommen hat, Robin und mir einen unvergesslichen Aufenthalt bereitet zu haben. Vielleicht trefft ihr Harry selbst ein Mal, wenn nicht persönlich dann online. Seit kurzem verkehrt er in unserem NHL-Forum und manchmal auch am Sonntag in unserem NHL-Chat unter dem Pseudonym 'wildfan'. (sth)

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