NHL-Eishockeymagazin
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nr.45 / sep. 2001 

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| zur Übersicht Geschichte des Stanley Cups |
ESSAY
 
Die Defensive, ein Geheimnis des Erfolges?
Wieder steigender Toreschnitt in der NHL

von Stefan Herget

Torschützenkönig 2001 - Pavel Bure
Hat es nun damit zu tun oder nicht? Liegt es wirklich daran oder spielen andere Kriterien eine Rolle? So oder ähnlich hören sich die kritischen Fragen bei Diskussionen an, wenn es darum geht zu entscheiden, ob die Regeländerungen der letzten Jahre wesentlichen Anteil daran haben, dass der Toreschnitt in der NHL wieder ansteigend ist.

Vergrößerung der Angriffsdrittel, um die Angriffsbemühungen zu erleichtern, Versetzen der Tore nach vorne, damit die Torhüter seltener an die Bande gehen können und den Spielaufbau stören, Verschieben der Bullykreise nach innen, um einen schnelleren Abschluss zu ermöglichen und die Torhüter müssen standardisierte Kleidung tragen, damit sie leichter zu bezwingen sind. Alles fast schon verzweifelte Maßnahmen der NHL, den Eishockeysport in Amerika wieder attraktiver zu machen, nachdem Mannschaften wie Buffalo oder New Jersey mit einem wenig spektakulären Defensiveishockey begannen, die Liga zu vorzuführen. Die Quoten der Fernsehübertragungen brachen ein und die NHL fürchtete um die goldenen Einnahmen durch die Live-Übertragungen.

Wesentlich effektiver und für den Zuschauer interessanter war die darauffolgende Regeländerung. Ab der 'Millennium Saison' wurde die Verlängerung bei Torgleichheit nach 60 Minuten nur noch mit Vier gegen Vier absolviert. Darüber hinaus bekam auch die Mannschaft, die in der Overtime ein Gegentor kassieren sollte, einen Punkt zugesprochen. Dies hatte den Effekt, dass seitdem mit vollem Risiko versucht werden kann, den Zusatzpunkt zu ergattern, obwohl es gerade bezüglich dieser änderung zahlreiche kritische Stimmen gab.
Die Konservativen waren der wenig nachvollziehbaren Meinung, dass eine Mannschaft, die in der Verlängerung verliert, keinen Punkt verdient hätte. Trotzdem war die Einführung dieses Systems ein Plus für das Spiel in der NHL. Prompt fielen mehr Tore, vor allem die Zusatzschichten wurden meist zu äußerst spannenden und begeisternden fünf Minuten. In der Saison 1999-00 stieg, zum ersten Mal nach acht Jahren Stagnation, der Trefferschnitt auf 5,49.

Vor der Saison 2000-01 wurden die Schiedsrichter angewiesen mehr Strafzeiten für Stockfouls auszusprechen. Die daraus resultierenden häufigeren Überzahlsituationen führten zu mehr Powerplaytreffer, nämlich von 1,3 auf 1,56 pro Spiel. Der Gesamttoreschnitt machte einen weiteren, wenn auch kleinen Sprung auf 5,51 Tore pro Begegnung.

Dies ist aber noch lange kein Grund zur Euphorie, denn Pessimisten werden sagen, dass die letzten fünf Spielzeiten allesamt weniger als sechs Tore pro Spiel gefallen sind. Dies war das letzte Mal Ende der 50er Jahre der Fall. Die Optimisten wiederum betonen, dass der Toreschnitt von der seit 42 Jahren niedrigsten Marke in 1998-99 wieder im Steigen ist. Und beide haben Recht!


 Saison  Tore/Spiel
1920-21     8,45
1930-31     4,79
1940-41     5,36
1950-51     5,42
1960-61     6,00
1970-71     6,24
1980-81     7,69
1990-91     6,91
1991-92     6,95
1992-93     7,25
1993-94     6,48
1994-95*    5,97
1995-96     6,29
1996-97     5,83
1997-98     5,28
1998-99     5,27
1999-00     5,49
2000-01     5,51

* verkürzte Saison

Fakt ist, dass sich das Spielsystem und die Taktik in den letzten Jahrzehnten wesentlich verändert hat. Stand es früher im Vordergrund mehr Tore zu erzielen als der Gegner, steht nun im Vordergrund weniger zu kassieren als der Gegner. Sie werden sagen, das ist das Gleiche! Vom Prinzip ja, aber nicht vom Ansatzpunkt. In der ersten NHL-Saison 1917-18 fielen 10,1 Tore pro Spiel. Bis heute der Rekord. Mittlerweilen gewinnt häufig das Team, welches in Führung geht, nämlich sogar abzüglich der Zu-Null-Spiele in immerhin 70,6 Prozent der Fälle. So wird es in allen Bereichen primär bedeutend nicht in Rückstand zu geraten. Durch bessere Trainingsmöglichkeiten, Videoanalysen, Spielbeobachtungen und -vorbereitungen können Teams gezielt die Torverhinderung studieren. Trainer benutzen schon während des Spieles auf der Spielerbank kleine Videobildschirme mit Touchscreen, um Verteidigern ihre Laufwege und Fehler aus kurz zuvor geschehenen Spielszenen vor Augen zu führen und unmittelbare, sofortige Besserung zu erreichen.

Zerstören war schon immer einfacher als zu gestalten. Die New Jersey Devils waren es, die 1995 mit ihrem Trapsystem die neutrale Zone so perfekt zustellten, dass kaum ein Durchkommen war. Auch heuer im Stanley Cup Finale zwischen New Jersey und Colorado hatte es die Mannschaft, die zurücklag trotz bester Offensivreihen unheimlich schwer wieder ins Spiel zu kommen. Die Stanley Cup Gewinner der letzten neun Jahre lagen allesamt unter den besten acht Teams im Gegentorschnitt. Die Defensive, ein Geheimnis des Erfolges!

Das war aber Anfang der 90er Jahre als die Pittsburgh Penguins zweimal und in den 80er Jahren, als die Edmonton Oilers viermal zum Cup 'stürmten' anders. 8,3 Tore pro Spiel verzeichneten die Statistiker in der Saison 1981-82. Die Oilers-Dynastie begann. 1985 nach dem zweiten Cupsieg der Kanadier sah sich die NHL gezwungen, aufgrund der Dominanz von Gretzky & Co. die Regeln zu ändern. Vier gegen Vier bei zwei gleichzeitig ausgesprochenen Strafen war gegen Edmonton nicht fair, weil die Gegner teilweise schwindelig gespielt wurden. Ab diesen Zeitpunkt wurde mit beiderseits fünf Mann weitergemacht. Zuvor 1983-84 hatte Edmonton sage und schreibe 446 Tore oder 5,58 pro Spiel erzielt. Bereits damals kritisierte Gretzky die Regeländerung als falschen Weg: 'Die NHL macht einen großen Fehler. Sie sollte sich mehr um Stockstiche kümmern, als um Vier gegen Vier Situationen. Anstatt den Level schlechter Spieler aufgrund Vier gegen Vier Trainings auf den guter anzuheben, schieben sie einen Riegel vor. Ich hoffe jemand schaut sich genau an, was sie damit erreichen.' Die Oilers Regel ist zwar heute nicht mehr gültig, aber die NHL wäre froh, wieder eine solche Tormaschinerie zu haben.

Die Diskussionen werden nicht verstummen und das Eishockey wird sich weiterentwickeln: Die Spieler, die Trainer, die taktischen Systeme und die technische Unterstützung des Trainings und der Fortbildung. Doch zum Glück wird Eishockey auch weiterhin nicht von Robotern, sondern von Menschen gespielt. Und der Mensch hat Schwächen und macht Fehler, dagegen ist jedes taktische System machtlos. So werden auch weiterhin die Fans jubeln, Emotionen aufkochen und die Torsirenen erschallen. (sth)

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